"Ich werde die CDU wenig schonen"

■ Michel Friedman, Präsidiumsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, wurde für den CDU-Bundesvorstand vorgeschlagen / Er tritt für eine Änderung des Staatsbürgerrechts ein

taz: Herr Friedman, der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Hermann Gröhe, hat Sie für den Bundesvorstand der CDU vorgeschlagen, um „ein Signal gegen den Antisemitismus“ zu setzen. Macht der Zustand der CDU ein solches Signal erforderlich?

Michel Friedman: Der Zustand der Gesamtgesellschaft macht ein solches Signal notwendig. Die Ereignisse der letzen Jahre in der BRD haben ein starkes Anwachsen der Intoleranz, der Gewalt und der Ausgrenzung gezeigt, und es wird allerhöchste Zeit, daß die Gesellschaft und damit auch die politischen Parteien dagegen in Klarheit und deutlicher Aktivität ein Signal setzen.

Ein solch deutliches Signal hätte ihr Parteivorsitzender setzen können. Helmut Kohl hat es nach dem Anschlag von Lübeck nicht getan.

Alle Parteien haben nach wie vor nicht den wachsenden Antisemitismus und Rassismus, die Gewaltentwicklung in Deutschland zu ihrem Hauptthema gemacht. Ich bin der festen Überzeugung, daß Deutschland in der größten Identitäts- und Wertekrise nach 1945 steckt. Seit der Vereinigung haben wir Identitätsverluste, aber keine gemeinsame Wertediskussion. Diese müßte von der Gesellschaft und auch von den Parteien ausgetragen werden. Diese Herausforderung ist anzunehmen. Solange die Parteienvertreter diese Herausforderung verdrängen, gar in den Hintergrund schieben, wird die Fehlentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland in Fragen der Solidarität, des Verantwortungsbewußtseins und der Menschlichkeit fortgeschrieben.

Wie soll die christdemokratische Antwort auf diese Ethikkrise aussehen?

Das Problem ist nicht auf die CDU beschränkt. Es erfordert vielmehr einen Gesamtkonsens, ein Fundament an ethischer Einigkeit, auf Basis dessen dann in Einzelfragen die konkreten Antworten der jeweiligen Parteien abgefragt werden können. Die Abfragbarkeit dieser Ethik, die in unserer Verfassung mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ formuliert ist, muß wieder stark in den Vordergrund unser Wertungen rücken.

Ein Bestandteil dieses Wertekonsenses wäre der Schutz der Minderheiten, eine Position, welche die CDU sich bislang nicht auf die Fahnen geschrieben hat.

Es ist richtig, daß der Schutz der Minderheiten ein wesentliches Element einer menschlichen, solidarischen Gesellschaft ist. Nicht der Minderheiten wegen, denn eine Gesellschaft, die ihre Minderheiten nicht schützt, schützt sich selbst nicht mehr. Extreme Gruppen beginnen meist an den Minderheiten zu experimentieren, wie weit sie gehen können, um dann immer mehr zum Zentrum der Gesellschaft zu kommen.

Mit dieser Position gehen sie innerhalb der CDU mit Geißler, Fink, Süssmuth und Biedenkopf d'accord, aber nicht mit der Mehrheit. Was nährt ihre Hoffnung, im Bundesvorstand diesen Zustand ändern zu können?

Politische Prozesse sind immer dialogabhänig. Ich gehe davon aus, daß ich in einer Streitkultur auch konträre Positionen ausfechten muß, wenn ich die der Toleranz, der Liberalität und des Pluralismus stärken will – auch innerhalb der CDU.

Ist eine dieser streitbaren Positionen, die sie in den Bundesvorstand der CDU tragen wollen, die Änderung des Staatsbürgerrechtes?

Mit Sicherheit ist das ein wichtiges und zentrales Thema, zu dem man eine offene Position finden muß. Es ist aber nur eines der Themen, über die nachzudenken sein wird. Wir haben uns erst im Grundsatz zu positionieren und deutlich zu machen, daß die Ethik- und Wertediskussion im Sinne von Humanität und Menschlichkeit die wichtigste politische Diskussion der Gegenwart sein wird. Erst wenn wir diese Hausaufgabe gemacht haben, werden wir die Einzelprobleme auf Grundlage dieses Ergebnisses subsumieren können. Ich bin überzeugt, daß dann die Frage der Staatsbürgerschaft sehr schnell und konstruktiv gelöst wird.

Die Debatte der letzten drei Jahre ging in der CDU, aber auch in der SPD in die entgegengesetzte Richtung.

Sie haben vollkommen recht. Alle Parteien in der Bundesrepublik Deutschland haben in den letzten Jahren pluralistische, liberale Positionen aufgegeben – auch bei der Asyldebatte. Deshalb fühle ich mich bestärkt, das Problem nicht nur partei-, sondern auch gesellschaftspolitisch zu sehen. Die Fragen der grundsätzlichen Einstellung zu einer Solidargemeinschaft in einem europäischen Konsens müssen in den Vordergrund gestellt werden.

JU-Chef Gröhe möchte mit einem jüdischen Mitglied im Bundesvorstand der CDU die Aussage des Grundsatzprogrammes mit Leben erfüllen, wonach die jüdische Gemeinde ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Gesellschaft sei. Fühlen Sie sich als „Vorzeigejude“ mißbraucht?

Wenn das einer so plant, dann irrt er. Ich bin weder bequem noch anpassungsfähig, noch anpassungsbedürftig. Die jüdische Gemeinschaft lebt mit ihrer eigenen Indentität, mit ihrer Religion und Tradition in Deutschland, und sie ist zugleich Bestandteil der gesamten Gesellschaft. In der Gleichberechtigung dieser Identitäten sehe ich den konstruktiven Ansatz einer offenen Gesellschaft. In diesem Sinne verstehe ich mich als Teil der politischen Öffentlichkeit und bringe mich als solcher ein.

Ich halte die Aufteilung eines Menschen in voneinander unabhängige Schubladen für unmöglich. Michel Friedman besteht aus seinem Engagement und den Aussagen, die er macht. Das ist nicht funktionsabhängig. Damit wird auch die CDU leben müssen. Daß ich meine Partei wenig schone, ist bekannt. Das wird auch das Signal sein, wenn ich kandidiere.

Wie ist denn in der CDU die bisherige Resonanz auf ihre Kandidatur?

Rita Süssmuth und die Frauenunion unterstützen die Kandidatur. Ich bin im Zentralrat der Juden in Deutschland aktiv, und ich stehe für eine bestimmte Sicht der Dinge. Weit über das jüdische Thema hinaus stehe ich für eine ausgesprochen liberale Betrachtungsweise von politischen Realitäten. Das ist eine nicht nur in der CDU mittlerweile nicht mehr gängige Linie, und es ist allerhöchste Zeit, daß wir in allen Parteien diese Grundsicht wieder in den Vordergrund rücken. Dazu möchte ich viele Menschen ermutigen. Das ist die beste und klarste Antwort auf die dumpfe rechtsradikale Suppe, die im Moment die Republik wie ein Schleier umhüllt. Interview: Dieter Rulff