■ Hellas fühlt sich von aller Welt betrogen
: Griechenland ist nicht bereit, sich "Erpressungen" zu beugen - so lautete gestern die Reaktion aus Athen auf die Androhung der EU, das Land wegen der Wirtschaftsblockade gegen seinen Nachbarn...

Griechenland ist nicht bereit, sich „Erpressungen“ zu beugen – so lautete gestern die Reaktion aus Athen auf die Androhung der EU, das Land wegen der Wirtschaftsblockade gegen seinen Nachbarn Makedonien vor den Euro-Kadi zu bringen.

Hellas fühlt sich von aller Welt betrogen

Noch vor wenigen Tagen versuchte der Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, die ganze Angelegenheit als „Familienstreit“ abzutun, den man gütlich beilegen werde. Doch das Verhältnis ist offensichtlich so zerrüttet, daß der Krach jetzt vor Gericht ausgetragen wird. Weil das Familienmitglied Griechenland den Wirtschaftsboykott gegen seinen Nachbarn Makedonien nicht aufheben will, wird die Europäische Kommission am 13. April beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht Klage einreichen. Die Frist von einer Woche soll dem Land die Möglichkeit geben, einzulenken. Am 11. April, zwei Tage vor Ablauf der Frist, wird der Sonderbeauftragte der UNO, Cyrus Vance, einen Vermittlungsversuch zwischen Griechenland und Makedonien machen. Sollte Athen stur bleiben, ist in drei bis fünf Wochen mit einer einstweiligen Verfügung der Luxemburger Richter zu rechnen.

Seit dem 16. Februar hält die griechische Regierung den Hafen von Thessaloniki für den Transit makedonischer Waren gesperrt. Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Makedonien, die durch die UN-Sanktionen gegen Serbien von ihrem früheren Haupthandelspartner abgeschnitten ist, wickelte zuletzt rund 80 Prozent ihres Außenhandels über den griechischen Hafen ab. Athen will den nördlichen Nachbarn durch die Handelssperre zwingen, auf seinen Staatsnamen zu verzichten, die Sonne von Vergina aus der Flagge zu löschen und einige Verfassungsartikel zu ändern. Das seit 1991 unabhängige Makedonien erhebe Gebietsansprüche auf die gleichnamige griechische Nordprovinz, so die Athener Regierung – die deshalb auch nur von Skopje spricht.

Die anderen elf Mitgliedsländer und die Kommission halten sich weitgehend aus den Details des Streites heraus, um Verhärtungen zu vermeiden, kritisieren aber um so heftiger die Handelssperre. „Wir zeigen nicht mit dem Finger auf Griechenland“, sagte Hans van den Broek, der in der Kommission für Außenhandel zuständig ist und zwei Monate lang vergeblich versucht hat, zwischen Skopje und Athen zu vermitteln. Manche der griechischen Forderungen seien möglicherweise sogar gerechtfertigt: „Aber selbst wenn die Sache richtig ist, sind die Mittel doch falsch.“ Nach Ansicht der Kommission, die für die Überwachung der Europäischen Gesetze zuständig ist, verstößt die Handelssperre gegen das Gemeinschaftsrecht, das freien Handel der EU-Länder mit Drittstaaten vorschreibt. Sanktionen dürfen nur gemeinsam beschlossen werden, es sei denn, ein Land wird „in seiner Sicherheit gefährdet“. Doch außer Athen kann niemand nachvollziehen, wie von dem wirtschaftlich und militärisch schwachen Zwei-Millionen-Staat Makedonien eine ernsthafte Gefahr für das Nato-Mitglied Griechenland ausgehen soll.

Vor allem die Länder, die wie Deutschland bereits diplomatische Beziehungen zu Makedonien aufgenommen haben, haben Griechenland vorgeworfen, den Nachbarn absichtlich zu destabilisieren. Unklar ist, inwieweit Griechenland, das als einziges EU-Land nach wie vor beste Kontakte zu den Kriegstreibern auf serbischer Seite pflegt, auf einen Zusammenbruch Makedoniens und eine Aufteilung des Landes spekuliert, oder ob Athen lediglich von innenpolitischen Problemen ablenken will.

Die EU-Partner haben keinerlei Möglichkeiten, Griechenland zur Vernunft zu zwingen. Die Unions-Verträge halten dafür keine Instrumente bereit. Selbst der Europäische Gerichtshof kann nur darauf bauen, daß ein Urteilsspruch anerkannt und befolgt wird, Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht. Doch bisher beugten sich alle Regierungen den Richtersprüchen aus Luxemburg, allein schon weil sich ein Land sonst in die politische Isolation begeben würde.

Die griechische Regierung hat die Klageandrohung als „Erpressungsversuch“ bezeichnet. Neben den regierenden Sozialisten warfen auch die griechischen Konservativen, die Kommunisten, das Linke Bündnis und die „Partei des Politischen Frühlings“ den Partnern mangelnde Solidarität und Heuchelei vor. Alois Berger, Brüssel