Post aus der Fremde
: Kann man „Baguette“ generell falsch aussprechen? Ich kann!

■ ) Ein Brief, der mit zahlreichen Mythen aufräumt: Die Bremer Künstlerin Ute Ihlenfeldt verbringt gerade ein Stipendium in Paris

Lieber Frank! Ich bin hier in Paris in der Cité des Arts untergebracht, zusammen mit ca. 130 anderen Künstlern unterschiedlichster Sparten ( Maler, Bildhauer, Grafiker, Drucker, Fotografen, Musiker, Sänger, Komponisten, Tänzer...) Die Cité wurde 1965 von einem gewissen M. Felix Brunau gegründet. Der Gute starb vor einigen Jahren, und jetzt regiert seine Gattin, Madame Felix Brunau, die Cité. Stell Dir vor, sie lädt alle Künstler, irgendwann während ihres Aufenthalts, zu sich in ihr Büro. Das ist eine echte Audienz. Ich war schwer beeindruckt.

Leider gibt es hier fast keine Möglichkeit zum Kennenlernen, kein Café oder Bistro, wo man mal die anderen „in ungezwungener Atmosphäre“ treffen könnte. Alle bedauern das sehr, so bleibt nur die Möglichkeit, direkt zu jemandem zu gehen, an der Tür zu klingeln (halten Sie sich dafür einen Grund bereit!). Naja, aber das macht man ja eh nie.

Wenn es einigermaßen warm ist, haben alle hier die Tür offen, und man trifft dann schon mal den einen oder anderen. Mein Wohnatelier hat in etwa 60 Quadratmeter. davon sind ca. 35 Quadratmeter als Atelier gedacht. Es gibt eine kleine Küche mit sehr bescheidener Ausstattung. Über eine Wendeltreppe gelange ich in die „obere Etage“. Dort ist ein kleines Schlafzimmer („die Gruft“) und ein Badezimmer. Man fragt sich doch wirklich, wie man da arbeiten und leben kann. Man kann: Manche Künstlerin ist sogar mit Kind und Mann da.

Morgen ist wieder eines dieser „Rencontre-Buffets“ in der Cité. Sie bemühen sich ja! Es ist wirklich rührend! Eine Mischung aus Jugendherberge und Kindergeburtstag, die Limonade ist auch so schön bunt, und der Wein ist wirklich nicht trinkbar. Ich schwöre!

Bei diesen „Kennenlern-Gelegenheiten“, sie finden in einem unsäglichen „Ausstellungsraum“ im Keller statt, werden dann folgende vier Fragen gestellt, soweit das sprachlich möglich ist: 1. Wie heißt du? 2. Wo kommst Du her? 3. Seit wann bist Du in Paris und wie lange noch? 4. Was machst Du? Es ist eine so unmögliche, unnatürliche Situation, daß die meisten gar nicht erst hingehen. Ja, ein Café fehlt hier einfach. Übermäßig viele Kontakte habe ich also nicht. Die Leute kommen und gehen auch so schnell, gerade hast du jemanden getroffen, mit dem du kannst, schon ist das Stipendium abgelaufen.

Aber die Museen! Besonders gut gefällt mir das „Musée de la ChÛsse et Nature“. Die haben eine schöne Waffensammlung, alles alte Dinger mit sehr schönen Intarsienarbeiten, einen Raum mit ausgestopften Dreiviertel-Tigern, mit moderner Kunst an der Decke!!!! und ganz wundervolle Jagdhundportraits. Deren Lächeln ist viel, viel sinnlicher als Mona Lisas. Ich schwöre. Sehr schön auch das Museum im Jardin des Plantes. Naturkunde! Sie haben dort Gerippe und eingelegte Tierinnereien (eingelegte Giraffenzunge und eingelegte Schimpansenwimpern).

Mit der Sprache ist es so eine Sache. Auch bei diesem Frankreichaufenthalt habe ich wieder schön mein Englisch auffrischen können. (Man spricht nicht französisch in der Cité). Französisch lernt man besser im Institut Français, Contrescarpe, Bremen. Ja, ja, der kleinste Fehler in der Aussprache wird hier bitter bestraft! Geradezu bösartig verhalten sich Bäckerei-Verkäuferinnen. Man muß sich ja generell fragen: Kann man „baguette“ falsch aussprechen? Ich kann! Ich mußte daher schon häufiger die Boulangerie wechseln.

Und gnadenlos sind ja auch die Postbeamten. Ich werde mit einem schweren „20 Briefmarken“-Trauma nach Bremen kommen. Nie wieder sage ich „20 Briefmarken“. Weder „20“ noch „Briefmarken“, und schon gar nicht in der Kombination! Ich verlange nun immer „dix a deux-quatre-vingt“. Sie wissen dann schon, was ich will.

Über das Pariser Nachtleben, angesagte IN-Kneipen und ä. kann ich Dir nur ganz wenig berichten. „Ich verzichte auf Männer, Fleisch und Alkohol und gehe ganz in meiner Arbeit auf“ (Christine Kaufmann, 49, Die Bunte) Im „Au franc pinot“ auf der Ile Saint Louis, rue des 2 ponts, gleich an der Ecke, ein spezielles Weinlokal, kann man sich wunderbar daneben benehmen, indem man demonstrativ Bier bestellt. Wie ein Wurm muß sich der Wirt winden, was bei seinem Bauch nicht einfach ist! Und dann bekommt man es doch, ob-wohl es nicht auf der Karte steht.

Jetzt schreibe ich Dir noch ein bißchen von meiner Arbeit. Leider ist mein Atelier sehr ungünstig geschnitten. So habe ich kei-ne richtige, ruhige Wand, die ich doch so dringend bräuchte für die Arbeit. Entweder ist die Wendeltreppe mit im Bild, oder der Heizkörper... So liegen meine Sachen verstreut auf dem Fußboden oder auf dem Arbeitstisch, der gleichzeitig mein Küchentisch ist. (Ich esse von der Kunst)

Ich habe das Gefühl, alles wird immer kleiner und kleiner, verstreuter. Ich kann mich nur sehr schwer konzentrieren, es gibt einfach viel zu viel Ablenkung, zu viele Eindrücke in P. Zuerst konnte ich überhaupt nicht mit der Situation umgehen, daß ich sozusagen im Atelier wohne. Immer und immer guckst Du auf Deine Arbeit, ich bekomme überhaupt keinen Abstand dazu, ich sehe die Sachen gar nicht richtig. Mittlerweile habe ich mir den „Tunnelblick“ angeeignet, das heißt, ich nehme die Sachen einfach nicht mehr wahr, wenn ich nicht will.

Das ist furchtbar anstrengend. Aber „je steiniger mein Weg ist, um so gefestigter wird meine Persönlichkeit sein. Daran glaube ich.“ (Markus Wasmeier, Die Bunte) Wie die Sachen dann aussehen, wenn ich mal alle auf eine „richtige“ Wand hänge, werde ich dann ja merken. So mache ich viele Skizzen und Zeichnungen, sammle Ideen. Für mehr habe ich kaum Zeit, und auf die Idee, hier davon etwas auszuführen, komme ich nicht. Was ich dann von diesen „Ideen“ in Bremen, im richtigen Lehm, gebrauchen kann, wird sich zeigen.

Eigentlich arbeite ich sehr viel, da ich doch keinen Fernseher habe. Das ist vielleicht mal bitter. Das einzige, was ich gesehen habe, war Lillehammer, Eiskunstlauf der Damen. Und das war ja eigentlich auch schon wieder viel zu viel für mich. PS: Kathi ist die BESTE.

Aber Paris, das ist doch auch nur ein Mythos! Du fällst aus dem Zug, und schon küßt Dich die Muse. „Ich brauche nicht darauf zu warten, daß mich die Muse küßt. Ich überbrücke die Zeit mit Pinselauswaschen und Fegen!“ (Janet Fruchtmann)

Was ich besonders genieße: manchmal, ganz selten, dann aber so richtig mit Genuß meinen Müll, Zigarettenschachteln, Tempos... auf die Straße zu schmeißen. Einfach so. Alle tun es. (Würde ich mir in Deutschland NIE trauen).

Lieber Frank, obwohl mein Weg so steinig ist, „ich werde reich, berühmt und glücklich. Daran glaube ich.“(Ute Ihlenfeldt). Schade, daß DU Dich NIE bei mir meldest. Viele Grüße Ute Ihlenfeldt