Village Voice
: Lachen oder Weinen?

■ „Die Poesie der Ekstase“ von Iron Henning und eine Erpresser-Single mit „Onkel Dagobert“-O-Ton

Wären Iron Henning eine ganz normale Rock-Combo, wie es sie zu Tausenden gibt, dann lägen die Dinge einfacher. Aber diese vier Ostberliner Jüngelchen wollten immer mehr, nämlich alles: die eigene real existierende Vergangenheit auf die Schippe nehmen und trotzdem eine knorke Rockband sein, die sich einen Scheißdreck um Geschichte kümmert – eben so wie Rock 'n' Roll sein muß: jung, wild, auf sich bezogen und menschenverachtend.

Dazu bedienten sie sich eines äußerst schlichten, nichtsdestotrotz wirksamen Tricks: Im Großteil der Songs lassen sie den Schweinerocker möglichst auf Höhe der Zeit raushängen (der eine oder die andere könnte wohl auch Grunge dazu sagen); die restlichen parodieren die Geschichte der populären Musik der DDR. Damit auch der Letzte den Unterschied mitkriegt, sind erstere englisch betextet, die anderen deutsch. Das Ganze wirkt wie ein ganz natürlicher Reflex eines ost-sozialisierten Pop-Konsumenten: Zum einen das vollständige und ungebrochene Aufsaugen des endlich frei Verfügbaren (bisher nur in Auszügen Bekannten), zum anderen die ironische Distanzierung von der eigenen Geschichte — wobei das Lachen in diesem Fall tatsächlich Freiheit schafft.

Auf der ersten Vollzeit-CD der Senatsrockgewinnler mit dem auch nicht ganz unironischen Titel „Die Poesie der Ekstase“ (der bewährte und potentielle Hits vereinigt) findet diese Trennung auch noch programmatisch räumlich statt. Die ersten sechs Stücke dienen der Jetztzeit, die letzten drei der Aufarbeitung einer Vergangenheit, von der sich die Band schon immer distanziert hat (im Gegensatz dazu steht z.B. der Ansatz der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot, die respektvoll sozialistisches Liedgut als fetenkompatible Stimmungsmusik wiederaufarbeiten). Bei Iron Henning findet kein Recycling statt. Vielmehr wird wie im Gerhard-Polt-Verfahren diese Vergangenheit 1:1 abgebildet und durch den neuen, unpassenden Zusammenhang der Lächerlichkeit preisgegeben.

Im gleichen Handstreich, in dem sie das verbeamtete DDR- Musikantentum der Mülltonne übergeben, fischen sie aus derselben gleich den Mythos vom minderjährigen, nicht einmal sich selbst verantwortlichen Rock 'n' Roller raus. Der stirbt für den Spaß und tötet für das nächste Glas Bier. Im Info pochen sie darauf, „unverbraucht, frisch und bizarr“ zu sein, im Song „Jump“ versprechen sie „We bring you a brand new beat“ und „that Rock will cure your soul“.

Ist das jetzt bloß naives Entdecken neuer Möglichkeiten — oder ebenso ironisch gemeint wie die deutschsprachigen Songs? Auf zweiteres deutet ein Song wie „Steakhouse Blues“ hin, der möglicherweise auf den „Roadhouse Blues“ der Doors anspielt, auf ersteres „Rock 'n' Roll on my Radio“, der die großartigen Heilungseffekte, die der durchschnittliche Pubertierende im Prä-MTV-Zeitalter mit dem Ohr am Transistorradio erfuhr, in ungebrochener Euphorie noch einmal wiederaufleben läßt. Aber vielleicht ist auch das nur große Verarsche.

Den deutschen Block eröffnet „Holt die Polizei“, der Song stammt schon aus dem Jahre 92, wo er einen Sommermonat lang die Charts von RockradioB anführte. Daß diese Schunkel-Pub- Rock-Hymne das schaffte, war nur durch die reichlichen Anspielungen auf verflossene Friedenszeiten zu erklären. Mit „Wozu“ liegen die Dinge nicht viel anders, und Iron Henning bedienen damit die allgegenwärtige DDR-Nostalgie (wie immer man zu der stehen mag), ohne sich selbst dareinzubegeben. Ihre ironische Distanz wird bei „Muggerschicksal“ am deutlichsten, wo sich der Staatsmusikant zwischen Familie und Beruf entscheiden muß, und, ganz dem Musikbeamtentum verpflichtet, den sicheren Hafen Ehe findet. Das ganze im Große-Worte-tun- doch-keinem-weh-Stil verflossener DDR-Pop-Lyrik: „Er muß sich entscheiden, er hat die Qual der Wahl / Er muß sich entscheiden, jede Liebe hat Berg und Tal.“ Hier steht der Westler endgültig wie der Ochs daneben und weiß nicht: Darf er lachen oder soll er weinen?

So richtig doll zum Lachen soll dafür „Dagobert“ sein. Die Idee ist ebenso primitiv wie genial: Ein von der Polizei mitgeschnittenes Telefongespräch mit Anweisungen des Erpressers Dagobert zur Geldübergabe („Und fahren mit dem Zug um 20.43 Uhr Richtung Frohnau, bis über Funk das Kommando kommt“) wurde von einem Berliner Produzententeam mit dem sinnigen Namen Die Panzerknacker mit halbwegs tanzbaren Beats versehen. Der notorische Bernward Büker veröffentlichte auf seinem Label.

Musikalisch sind die drei verschiedenen Abmischungen auf der Single trotz solch hübscher Namen wie „Entenhouse Mix“ oder „Geldspeicher Mix“ reichlich hausbacken und verschlafen, aber man kann leidlich seinen Arsch dazu bewegen. Mehr konnte man wohl auch nicht erwarten. Den offensichtlichen Zweck, als Partywitz zu dienen, erfüllt der Quatsch natürlich auch so. Thomas Winkler

Die Panzerknacker: „Dagobert“, Inferno Music/ EFA

Iron Henning: „Die Poesie der Ekstase“, Stay Hip Records/ EF