Ein „sensibler Politikbereich“

In der EU gibt es keinen Bedarf an einer Gesetzgebung zu Rüstungsexporten / Kein Interesse an Lockerung deutscher Bestimmungen  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der Vorstoß des Mercedes- Chefs war wenigstens ehrlich. Wenn die Bundesrepublik ihre Ausfuhrbeschränkungen für Rüstungsgüter nicht lockere, so Edzard Reuter, dann werde die deutsche Industrie ihren Rüstungssektor zunehmend ins waffenfreundlichere Ausland verlegen. Ganz anders der Wirtschaftsminister: Es habe sich in Brüssel gezeigt, schrieb Günter Rexrodt (FDP) in einem Brief an die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, daß die Partner in der Europäischen Union das strenge deutsche Exportkontrollsystem „nicht mittragen“.

Ob Asyl oder Waffen – wenn es um die Aufweichung deutscher Gesetze geht, gehört der Verweis auf die EU inzwischen zum Standard-Repertoire. Der sogenannte Lamers-Brief, eine Initiative der drei CDU-Politiker Lamers, Fritz und Schockenhoff zugunsten der deutschen Rüstungswirtschaft, gipfelt gar in der treuherzigen Bemerkung, ohne eine Angleichung der deutschen Exportbestimmungen an europäischen Standard „können wir uns auch nicht für eine Verschärfung der europäischen Regeln einsetzen“.

Das Eigenartige an der Diskussion ist, daß Rüstungsexporte nicht in die Kompetenz der EU fallen. „Wir haben das in letzter Zeit häufiger in deutschen Zeitungen gelesen“, meinte ein Sprecher der Kommission, „aber es gibt keine EU-Gesetzgebung zu Waffenexporten und auch keinen Harmonisierungsbedarf.“ Die Entscheidung darüber, welche Waffen wohin ausgeführt werden dürfen, gehört zu den sensiblen Bereichen nationaler Politik. Bereits im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft von 1957 steht in Artikel 223, daß „die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder der Handel damit“ zu den wesentlichen Sicherheitsinteressen jedes Landes gehöre. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Selbst integrationsfreudige Länder wie Frankreich wollen diesen Bereich auf keinen Fall der EU übertragen. Wenn die Bundesrepublik sich aufgrund ihrer Geschichte beim Umgang mit Kriegsgerät strengere Auflagen verordne als andere, so der Kommissionssprecher, dann sei das eine Eigendiskriminierung, die der Europäischen Kommission egal sei: „Wir üben da ganz sicher keinen Druck auf die Deutschen aus.“

Auch die Partnerländer haben kein allzu großes Interesse daran, daß der amtierende Europameister im Waffenverkaufen seine Ausfuhrbestimmungen lockert und sich noch mehr vom kleiner werdenden Kuchen abschneidet. Seit dem Ende des Kalten Krieges haben fast alle Staaten der Erde ihre Rüstungsausgaben gekürzt. Nur Deutschland hat zugelegt. Schon aus Angst um Marktanteile wachen die Regierungen eifersüchtig über ihre nationalen Spielräume. Der Rüstungshandel gehört zu den ganz wenigen Geschäftsbereichen mit brachliegenden Absatzreserven, die notfalls durch Moralverzicht freigesetzt werden können.

Lediglich für die Ausfuhr von sogenannten Dual-use-Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, wie beispielsweise Mercedes-Geländewagen in Chile, ist eine europäische Verordnung geplant. Aber selbst diese Verordnung wird es jedem Mitgliedsland überlassen, ob es, um bei dem Beispiel zu bleiben, den Geländewagen für die chilenische Polizei als Dual-use-Produkt einstuft oder doch nur als Freizeitgerät. Die Entscheidungen, welche Güter in welche Länder geliefert werden dürfen, heißt es im Verordnungsentwurf, „sind schon ihrer Definition nach strategischer Art und unterliegen daher der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten“.

Die geplante Verordnung soll lediglich sicherstellen, daß die nationalen Ausfuhrbestimmungen auch nach dem Wegfall der innereuropäischen Grenzkontrollen noch eingehalten werden. Um nationale Bestimmungen zu umgehen, reicht es derzeit oft aus, die sensiblen Ausfuhren über ein europäisches Partnerland laufen zu lassen. Dabei läuft das Geschäft bei weitem nicht nur über die schlecht beleumdeten Südstaaten, die von der mitteleuropäischen Industrie wegen ihrer laschen Kontrollen geschätzt werden, sondern auch über Länder wie Großbritannien. Londons schwarze Liste der kritischen Empfängerländer ist kürzer als etwa die deutsche.

Solche Unterschiede wird es weiterhin geben. Die Verordnung sieht lediglich vor, daß zum Beispiel die britischen Behörden bei der Ausfuhrkontrolle von deutschen Dual-use-Produkten über ihre Grenzen die deutschen Maßstäbe anwenden oder die deutschen Behörden informieren müssen. Doch bereits dies scheint den europäischen Regierungen zu heiß. Seit Jahren führt die Verordnung ein beschlußloses Dasein. Weder die Wirtschafts- noch die Außenminister haben sich bisher ernsthaft herangewagt. Dabei würde die Regelung nichts verbieten, was nicht schon verboten ist.