Unterm Strich

Glücklich das Land, in dem die Gurken blühen und in dem die Menschen und die Künstler förmlich hinter der Zensur herlaufen wie weiland young Schlingensief: Bitte zensieren Sie mich! Bitte lassen Sie mich nicht über Los gehen, in ihrem Forum meinen Film zeigen, sondern lassen Sie mich direkt zum Opernplatz vorrücken. Im folgenden Fall allerdings handelt es sich um echtes, teures Geld oder eine saftige Ordnungsstrafe: Der Verleih von Andreas Voigts „Glaube Liebe Hoffnung“ schickt nun ein Fax in die Welt, auf dem gegen Herrn Dr. Schneider protestiert wird. Herr Dr. Schneider war der bösgemeinfiese Kapitalisten-Wessi in „Glaube Liebe Hoffnung“. Bei „Glaube Liebe Hoffnung“ handelt es sich um eine Fortsetzung der unendlichen Geschichte unserer verlorenen Söhne, der Neonazis, die irgendwie lustlos im Leipziger Allerlei herumstochern und vom Regisseur zärtlich-fürsorglich nach Kindheit, Küche, Konsum befragt werden. Nein, das war jetzt gemein, aber ernsthaft hatte man schon beim Film selbst den Eindruck, er hänge etwas müd hinter „Stau“ und Sie-wissen-schon-welchem-anderen-Film hinterher; aber jetzt wirkt es erst recht so, da wird eine Erfolgsstrategie kopiert: Hatz bekommt. Die Hatz, das ist Dr. Schneiders bei Gericht erwirkte Androhung eines Ordnungsgeldes (hübsches Wort) von 500.000 DM oder wahlweise einem halben Jahr Ordnungshaft oder eines Ordnungswauwis, wenn der Verleih einen Film zeigt, der ihn, Dr. Schneider, im „Zusammenhang mit der Neonazi-Szene und radikalen Jugendlichen“ erscheinen ließe. Tatsächlich wird Schneider im Film nicht mit dem Rechtsradikalismus, sondern mit dessen tiefenpsychol. Ursachen, der Hänsel-und-Gretel-Erfahrung der Protagonisten verknüpft. Warum geht es ihnen so dreckig? Warum haun sie die Vietnamesen? Weil und solange es Dr. Schneider so feist und gut geht, wie es ihm nun einmal geht. Das hat der Mann gespürt, und nun will er Satisfaktion.

Man liest's und stutzt: Die Wochenpost wartete diese Woche mit einem „Extra: Auschwitz“ neben einer hübschen Banderole auf, bei dem zunächst die überaus stoische Bebilderung ins Auge sprang. Unter einem Foto steht: „Auschwitz. Gaskammer.“ Unter dem andern gar: „Auschwitz. Daseinsreste.“ Darunter finden sich erbauliche Textpassagen – entnommen einer Reportage aus dem New Yorker von Timothy W. Ryback wie die folgende: „Ich reibe einen streichholzgroßen Knochensplitter zwischen den Fingern, er zerkrümelt. Das ist die Wahrheit von Birkenau, die letztendliche Herausforderung an alle, die daran arbeiten, den Zerfallsprozeß von Backstein und Beton, von Holz, Leder und Papier zu ,stabilisieren‘, die sich bemühen, das Vordringen des Grases und des Unkrautes aufzuhalten, indem sie eine Baracke, eine Selektionsrampe oder eine Gaskammer rekonstruieren, um vor unseren Augen und vor unserem Geist diesen

Ort des äußersten Schreckens wiedererstehen zu lassen. ...vielleicht dauert es noch weitere zehn oder auch hundert Jahre, aber einmal wird es soweit sein, daß der Teich die letzte Spur der Asche getilgt hat; dann wird nur noch das Schild übrig sein, der Name, und die Erinnerung.“ Das Sakrale, das einem aus dieser Gedenkprosa entgegenschallt, prallt aufs galanteste gegen die Banderole oben usw., trifft sich mit einer gewissen selbstgefälligen Rechtschaffenheit. Und so blicken wir, im Nichts nach Worten ringend, auf das abgelegte Exemplar: Wochenpost. Daseinsreste.

„Schindlers Liste“ hat in den USA bereits 75, in Übersee 100 Millionen Dollar eingespielt, womit Spielberg nach eigenen Angaben nicht gerechnet hat. Angeblich hat er nicht einmal gehofft, die Produktionskosten von 22 Millionen Dollar wieder wettzumachen. In islamischen Ländern hat der Film allerdings praktisch keine Chance. In Ländern wie Saudi-Arabien und Pakistan haben die Verleiher gar nicht erst einen Versuch unternommen, den Film in die Kinos zu bringen, denn anderswo hat es bereits Verbote und Aktionen gegeben, die Aufführung des Filmes zu verhindern.

„Es schockiert mich“, hat Spielberg der New York Times gesagt, „weil ich dachte, die islamischen Länder müßten das Gefühl haben, der Film könnte ein Instrument ihres eigenen Anliegens in in bezug auf Bosnien sein.“

Da ist zum Beispiels Jordaniens Informationsminister Jawad Al Anani überhaupt gar nicht so. Er kündigte an, er werde sich wegen des Hebron-Massakers um ein Verbot bemühen. Außerdem, und das hören Sie bitte, die Sie eh schon mühselig und beladen sind, gäbe es zu viele Nacktszenen in dem Film (die Selektionsszenen sind gemeint). Hollywood wird, aus Fairneßgründen, aufgefordert, einen großen Film über das Schicksal der Palästinenser zu machen.