: Pflügers bittere Wahrheiten
Beim Marsch nach rechts läßt die CDU Friedbert Pflüger in der Mitte zurück / Der Autor warnt vor dem neu-alten Mythos Nationalismus und der Zunahme antidemokratischer Tendenzen ■ Von Hans Monath
Die Bestandsaufnahme der vergangenen zwei Jahre ist wenig ermutigend und in dieser Zeitung nicht zum erstenmal zu lesen: „Fremdenfeindliche Gewalttaten, offen zutage tretender Rassismus, anitsemitische Exzesse und mehr als zwei Dutzend ermordete ausländische Mitbürger – eine schreckliche Bilanz.“ Und: „Die Morde von Mölln und Solingen sind nicht unzusammenhängende und vereinzelte Untaten, sondern sie entstammen einem nationalistischen Klima.“ Die Zitate stammen aus dem neuen Buch eines CDU- Bundestagsabgeordneten. Daß man sich heute über diese Feststellung der Autorenschaft wundern muß, ist der eigentliche Skandal, den der ehemalige Weizsäcker- Sprecher Friedbert Pflüger in „Deutschland driftet“ anprangert. Warum regt sich nicht die politische Mitte und nicht die CDU darüber auf, daß der neue Nationalismus marschiert und mit den Alliierten auch die politischen Grundwerte der alten Bundesrepublik verabschiedet werden sollen?
Die vermeintlich neuen Ideen, die durch die Feuilletons und Reden geistern, kommen Pflüger so bekannt vor wie die frechen Forderungen nach nationalem Durchgreifen spätabends im Wahlkreis. Er hat die Erklärungsmuster und Programminhalte, die gefühlsseligen Verschmelzungsangebote für Deutsche in verwirrten Zeiten alle schon gelesen: bei den Autoren der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik. Und ähnlich wie damals fallen die Ideen heute nicht vom Himmel, sondern werden in die Organe der politischen Elite hineingetragen.
Damals hießen die Autoren Oswald Spengler, Carl Schmitt, Arthur Möller van den Bruck und Ernst Jünger. Sie verhöhnten das Parlament als „Biertisch der Nation“ und den Weimarer Staat als „Firma“, sie geißelten die Entscheidungsschwäche der liberalen Demokratie und „westliche Dekadenz“. Als Kern der Konservativen Revolution macht der CDU- Abgeordnete „antidemokratisches und völkisch-nationales Gedankengut“ aus, mit dem seine Träger zum Steigbügelhalter Hitlers werden sollten.
Heute bedienen sich nicht nur bekannte Rechtsintellektuelle aus dem Fundus der Weimarer Republik und wiederholen die Verhöhnung der Demokratie, bieten Mystik statt Aufklärung, üben sich in Geschichtsfälschung, preisen antiwestliches Sonderbewußtsein und huldigen toten Preußenkönigen. Nicht nur Armin Mohler und Ernst Nolte, nicht nur Heinrich Lummer und manche Leitartikler der FAZ nennt Pflüger als Verharmloser der radikalen Herausforderung unserer politischen Kultur. Seit der Wende erhalten sie Unterstützung: Rainer Zitelmann organisiert den rechten Diskurs, ein gewandelter Arnulf Baring knüpft außenpolitisch ans Bismarck-Reich an, ein Botho Strauß weist den „rechten“ Weg, und der nationalisierte Martin Walser verharmlost die Gefährlichkeit von „Skinhead-Buben“. Auch den Glauben, wonach der so verbreitete Nationalismus sich als „Kitt“ einer Gesellschaft im Umbruch instrumentalisieren ließe, weist Pflüger als gefährlichen Irrtum zurück. Für ihn haben die neuen Konservativen Revolutionäre längst den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten. Ihr Geschichtsbild ist gefährlich: „Wird jetzt die rechte Tyrannei abgelegt, eingeordnet und bagatellisiert, die linke dagegen dämonisiert – so werden rechtsradikale und Konservative Revolutionäre salonfähig. Dann verschiebt sich die Mitte nach rechts. Die Maßstäbe verschwimmen, und Deutschland driftet.“
Pflüger legt sich auch mit seiner Partei an. Er nennt Namen, zitiert Reden und bringt eine solche Menge von Beispielen für die Zusammenarbeit und Duldung rechtsradikaler Abschweifungen in der einstigen Volkspartei, daß auch diejenigen Beobachter erschrecken werden, die der CDU nicht nahestehen. Seinen Parteivorsitzenden nimmt er dabei von der Kritik aus. Daß Kohl als Europapolitiker gelobt wird, ist verständlich und berechtigt. Aber gerade der Kanzler bereitet dem nationalen Mainstream seit Jahren den Weg: Seine Geschichtspolitik und Gedenkpraxis – Bitburg, Neue Wache, D-Day – passen so gut in Pflügers Raster wie sein Auftritt bei der Umbettung Friedrichs des Großen. Und niemand anderes als Kohl hat Steffen Heitmann zum Kandidaten gemacht, den genialsten Zitatelieferanten für Pflügers Buch.
Der griffige und etwas prätentiöse Titel schmückt kein wissenschaftliches Werk, sondern eine Provokation und Gebrauchsanweisung. Die im vergangenen Jahr erschienene Studie Stefan Breuers („Anatomie der Konservativen Revolution“) erbrachte den Nachweis, daß ihr Untersuchungsgegenstand ein ideengeschichtliches Phantom ist, weil kein gemeinsamer Kernbestand von Überzeugungen zu finden ist. Insofern ist Pflügers „Konservative Revolution“ ein in aufklärerischer Absicht gebrauchter Kampfbegriff.
Seine bitteren Wahrheiten präsentiert Pflüger natürlich nicht im Antifa-Jargon. In den 70er Jahren hat er vor der Verharmlosung von Linksradikalen gewarnt. Aber die 68er sieht er überwiegend mit Sympathie, und viele seiner Kritikpunkte sind berechtigt, etwa wenn er auf die Indolenz der Linken gegenüber Menschenrechtsverletzungen in kommunistischen Staaten verweist, im Widerstand gegen den Golfkrieg Reste eines deutschen Sonderbewußtseins wirken sieht und Berührungspunkte zwischen rechter und linker Fundamentalkritik ausmacht. Wer sein Bündnisangebot zur Verteidigung annehmen will, muß freilich mit der alten Bundesrepublik grundsätzlich seinen Frieden machen.
Pflügers ans bürgerliche Lager gerichtete Warnung bestätigt manche Thesen von Warnfried Dettlings kürzlich erschienener CDU- Analyse „Das Erbe Kohls“. Aber es gibt einen sehr wichtigen Unterschied: Dettling analysiert mit intimer Kenntis, aber von außen und ohne viel Hoffnung auf Einsicht, die Zurichtung der CDU zur Rechtspartei durch Wolfgang Schäuble zu verhindern. Genau diese Hoffnung auf Einsicht aber muß der Bundestagsabgeordnete Pflüger hegen, und er appelliert vehement an seine Parteifreunde. Daß er sich mit dem Nationalismusprogramm seines Fraktionschefs nur an einer Stelle beschäftigt und Schäuble in der kurzen Passage noch in Schutz nimmt, mag taktischem Kalkül entspringen. Angesichts der Zurichtung der Partei zur Duldsamkeit gleicht Pflügers Vorstoß dem Versuch, einen Güterzug mit der Fahrradbremse anzuhalten. Aber wer für die emotionale Ansprache des Nationalismus empfänglich ist, kann durch diese Lektüre durchaus immunisiert werden. Der Verlag würde ein gutes Werk an dieser Republik tun, wenn er das Buch an alle 318 Unionsabgeordnete schickte.
Friedbert Pflüger: „Deutschland driftet. Die Konservative Revolution entdeckt ihre Kinder“. Econ Verlag, Düsseldorf 1994, 200 Seiten, 29,80 Mark
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