■ F.J. Strauß, die Medien und die Buße seiner Nachfolger
: Die Enthüllung als Hommage

Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Skandalwelle, die über die politische Landschaft der Bundesrepublik schwappt, auch den Verstorbenen erreichen würde, bei dem sich Freund und Feind insgeheim längst einig sind, daß bislang nicht annähernd ans Licht gebracht wurde, was an Dubiosem unter seiner Ägide gedeichselt wurde.

Doch so reichhaltig in diesem Fall der Stoff auch sein mag, aus dem Rücktritte gemacht werden, Franz Josef Strauß hat nichts mehr zu befürchten. Die anfängliche Empörung des Beschuldigten, seine von immer neuen Indizien aufgebrochene Verteidigung, die Verunsicherung und beginnende Zerknirschung, Schuldeingeständnis und Abgang – alles, was zum Erfolgsdrama politischer Demontage gehört und deren ungebrochene Attraktion beim Publikum ausmacht – ist dem Delinquenten posthum kaum mehr abzuringen.

Ohnehin fehlt der neuerlich angelaufenen Enttarnung des bayerischen Übervaters das Überraschungsmoment, aus dem sich die öffentliche Empörung über das Unziemliche und die Dynamik des echten Skandals zu einem Gutteil speisen. Wer hätte gedacht, daß Franz Steinkühler seine Position für Insidergeschäfte nutzen, daß Björn Engholm unter dem Signet des Ehrenmannes so lange und überzeugend die Wahrheit verbergen, oder daß Günter Krause seine vorgezeichnete Karriere durch konsequentes Ausnutzen des kleinen Vorteils riskieren würde? Das „kaum zu glauben“, eine Grundvoraussetzung des Skandals, fehlt bei einem wie Strauß, dem alle längst zutrauten, was man ihm jetzt post mortem und en detail nachzuweisen sucht.

Was da via Spiegel in mühsamer Recherche rekonstruiert wird, über den steuersündigen Freund und die illegale Hilfestellung, die wiederum dem Helfer und seiner Partei zugute gekommen sein soll, so ungefähr hat man sich das System Strauß doch immer schon vorgestellt. Alle zwielichtigen Fakten passen ins Bild. Das macht den Verstorbenen gegen Enthüllung immun. In dieser Hinsicht ist sein Ruf längst ruiniert. Da ist Enttarnung schwer zu machen. Am Ende kommt selbst Theo Waigel nicht umhin, das CSU-mögliche Maximum an Distanzierung zu formulieren: „Strauß war kein Heiliger“.

Das wird jetzt lediglich mit neuen Fakten, bislang unbekannten Details und – zugegeben – atmosphärisch eindrucksvollen Fotos untermauert. Wer macht sich die Mühe, an ihnen zu zweifeln? Wer glaubt nicht, daß es genau so gewesen sein könnte? Nein, „Zwick“ und die anderen, noch unbekannten Facetten der Straußschen Skandalchronik wirken immer schon wie längst bekannte Momente der Legende. Seine Biographie, gar die Geschichte des Freistaates müssen deshalb nicht umgeschrieben werden.

Gegen die Aufklärer hat Strauß längst gewonnen. Weil bei keiner seiner zahlreichen Affären die Indizienkette stramm genug geriet, um ihn endgültig aus der politischen Bahn zu zerren, haben alle nachträglichen Versuche, den Coup doch noch zu landen, etwas von schlechtem Verlierertum. Die Mühe, die darauf verwendet wird, die Durchtriebenheit des Durchtriebenen nachzuweisen, beleuchtet nur noch einmal die Fixierung seiner Gegner, das komplementäre Phänomen zur Identifikation und Verehrung seiner Schutzbefohlenen. Läßt man die Geschichte des Straußschen Unwesens Revue passieren – Lockheed, Onkel Alois, Schützenpanzer HS 20 u. a. –, drängt sich ohnehin der Verdacht auf, die jüngsten Enthüllungen gerieten eher zur Erneuerung als zur Demontage des Mythos. Denn, daß sich sein Nimbus entlang der Skandale formte, in die er verstrickt war, ohne über sie zu stürzen, liegt auf der Hand. Daß man jetzt die Serie fortzusetzen gedenkt, wirkt deshalb wie eine verquere Form der Anerkennung. Die Enthüllung als Hommage.

Die gönnt man ihm. Geschlagen wurde Strauß zu Lebzeiten, als Politiker und nicht mit den Mitteln kriminalistischer Recherche. Bestenfalls beleuchten die jüngsten Fakten noch einmal, daß die Bundesdeutschen, bei aller ambivalenten Bewunderung für die politische Ausnahmeerscheinung, goldrichtig lagen, als sie ihm 1980 die Mehrheit verweigerten, vor dem Risiko eines Kanzlers Strauß zurückschreckten und ihm damit sein politisches Lebensziel verbauten. Ein eher taktisches Verhältnis zum Rechtsstaat, ein gebrochenes zur Pressefreiheit und ein rücksichtsloser Machtwille, all das hat seinen Ruf begründet und ihn zugleich nach Bayern verbannt, wo er seine eher absolutistische Spielart der Demokratie betrieb. Von dort aus war er bundespolitisch präsent und blieb dennoch immer ein wenig hinter dem zurück, was man ihm an Macht und Einfluß zutraute. Größere Niederlagen wird man ihm nicht mehr zufügen.

Immerhin drängt sich die Frage auf, wie in Zeiten, in denen eine angesehene Politikerin wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung ihrer Friseurbesuche abtreten muß, mit einem wie Strauß verfahren worden wäre? Seine skandaldurchzogene Vita jedenfalls wirkt wie aus einer anderen Zeit. Sie ist es.

Strauß hat Karriere gemacht, als die Republik noch wußte, wo ihr der Kopf stand und das nicht nur einer prosperierenden Wirtschaft, sondern alles in allem auch der Kompetenz der politischen Klasse gutgeschrieben wurde. Seine Nachfolger agieren in veränderter Atmosphäre. Ihre offensichtliche Überforderung angesichts der neuen Krisen seit 1989 zahlt ihr die ebenfalls überforderte Gesellschaft heim: mit neuer politischer Moral und scharfer, medialer Kontrolle. Verruchter jedenfalls als Strauß wirkt keiner seiner unlängst gestürzten Kumpanen. Kein Pate in Sicht.

Strauß ist nicht mehr zu überführen. Doch es ist kaum ein Zufall, daß sich unter seinen Statthaltern die Opfer des neuen Verhaltenskodex auffällig häufen. Unter dem einzig wahren Amigo sozialisiert, fallen sie jetzt ihren unzeitgemäß gewordenen Gewohnheiten zum Opfer. Über den Umweg seiner scheiternden Epigonen erreicht so die neue Moral am Ende doch noch den Altmeister. Im Skandal-Dilettantismus der Nachfolger geht sein Vermächtnis vor die Hunde.

Daß der Niedergang der CSU – ihr relativer Bedeutungsverlust nach der Einheit, das Scheitern der verkappten Ausdehnung unter der Tarnkappe DSU, der Verlust der Sperrminorität in der Bonner Koalition, die Bedrohung der absoluten Mehrheit in Bayern durch Republikaner und Anti-EU-Populisten – mit seinem frühen Abgang in Verbindung gebracht wird, auch das gehört zum Strauß-Mythos. Den Nachweis, daß er den Verfall seiner Partei hätte aufhalten können, muß Franz Josef Strauß nicht mehr erbringen. Irgendwie hätte man ihm auch das noch zugetraut. Seinem Nachfolger im Amt hingegen bleibt kaum mehr, als mit der Aktion „reiner Tisch“ die CSU-interne Altlastenbewältigung in Gang zu halten. Doch die Chancen der CSU, ihren Nimbus als Staatspartei über die drei existentiellen Wahlen dieses Jahres zu retten, sinken – mit jedem weiteren, den das bei Strauß gelernte Gebaren ins politische Aus zwingt. Matthias Geis