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Mit Pfeilen gegen Gatt

Gewalttätige Demonstrationen in Indien gegen das Zoll- und Handelsabkommen / Doch hat Indien auch Vorteile durch das Gatt  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Wasserkanonen und Tränengas auf der einen, Ziegelsteine, Sandalen und selbst Pfeile auf der anderen Seite sind dieser Tage die herrschenden Anredeformen in der Debatte um die Unterzeichnung des Gatt-Abkommens in Marrakesch. Am Dienstag und Mittwoch gipfelte eine monatelange landesweite Protestbewegung auf den Straßen Delhis in einer Demonstration der Linksparteien mit über 150.000 Teilnehmern. Sie endete gewalttätig und forderte achtzig Verletzte – darunter Polizisten, die Pfeilschützen aus den Stammesgebieten Bihars ins Visier geraten waren. Die Anhänger der nationalistischen BJP begnügten sich anderntags mit dem Verbrennen überlebensgroßer Puppen, welche das „Gatt-Gespenst“ darstellten und die Gesichtszüge des ehemaligen Gatt-Generaldirektors Arthur Dunkel trugen.

Das Gatt war auch, in diplomatisch gedämpfterer Tonlage, Hauptthema der 50. Sitzung der UNO-Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik (Escap), die gleichzeitig in Delhi eröffnet wurde. In seiner Eröffnungsrede kritisierte Premierminister Narasimha Rao den Versuch einiger Industrieländer, soziale und Umweltprobleme zu einem Gatt-Thema zu machen. Er sah darin eine neue Form von Handelshemmnissen, welche den Entwicklungsländern ihre komparativen Vorteile wegnehmen sollten.

Beherrschungsängste

Den Namen des ehemaligen Gatt- Chefs und Schweizer Diplomaten Dunkel kennt in Indien deshalb fast jedes Kind, weil die interessierte Öffentlichkeit das Ende 1993 verabschiedete Schlußdokument der Uruguay-Runde mit dem Kompromißtext des letzten Generaldirektors gleichsetzt. Der Dunkel-Entwurf hatte gleich nach seinem Erscheinen die alten Beherrschungsängste wachgerufen – ein Reflex, der aus der Erfahrung der Kolonialisierung stammt, welche in Indien bekanntlich durch eine Handelsgesellschaft durchgeführt worden ist.

Sowohl die BJP wie die Linksparteien sahen im Dunkel-Vorschlag die Unterwerfung des Landes unter Spielregeln, die als Gesetze des freien Marktes daherkamen, in Wirklichkeit aber den Multis den Zugang zum großen inländischen Markt erzwingen sollten.

Hauptziel der Kritik bildeten dabei die sogenannten TRIPs, die handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechte. Denn sie würden Indien zwingen, sein Patentrecht internationalen Standards anzupassen. Die aufgrund der geltenden indischen Patentregeln tatsächlich noch billigen Medikamente etwa würden so unerschwinglich.

Späte Reaktion der Regierung

Gleichzeitig verbreitete sich die (falsche) Auffassung, daß der Schutz von Erfindungen neuer Pflanzensorten die indischen Bauern zwingen würde, ihre Samen von internationalen Agromultis zu kaufen. Eine Bauernorganisation im Staat Karnataka zerstörte daher im Dezember 1992 und im folgenden Juli die Verwaltungs- und Betriebsstätten des US-Konzerns Cargill. Dies bildete den Auftakt für eine Kampagne, der es gelang, landesweit den Eindruck zu vermitteln, Indien werde aus der Uruguay-Runde geschwächt hervorgehen. Die Regierung muß sich nun vorwerfen lassen, daß sie es lange verpaßt hatte, die Vorteile der neuen Runde für Indien der Öffentlichkeit verständlich zu machen.

Neue Handelshemmnisse?

Tatsächlich sind diese nicht unbedeutend: Das Gatt-Abkommen bildet für ein exportabhängiges Land wie Indien einen Schutz vor bilateralen Vergeltungsmaßnahmen – wie dem amerikanischen Handelsrechts-Artikel 301, der Strafzölle für Länder vorsieht, die von den USA des Dumpings verdächtigt werden. Zudem wird es in einzelnen Bereichen wie Textilien und Dienstleistungen (zum Beispiel dem Export von Arbeits- und Beratungsdiensten) Indien mehr Vorteile als Nachteile bringen.

Inzwischen hat das Land Gatt- Regeln wie die Aufhebung quantitativer Einfuhrbeschränkungen weitgehend autonom vollzogen. Und bei den Agrarsubventionen liegt es weit unter dem gestatteten Maximum. Auch bei den Pflanzensorten erlauben die neuen Regelungen eine nationale Gesetzgebung, welche die Rechte traditioneller wie auch neuentwickelter Pflanzensorten wahrt. Lediglich im Pharmabereich muß Indien seine Patentgesetzgebung anpassen und die Schutzdauer für ausländische Produkte auf zwanzig Jahre ausdehnen.Erst in den letzten Wochen hat sich die Regierung dezidiert hinter die neue Gatt-Ordnung gestellt, als klarwurde, daß die Opposition im Parlament die Regierung in Bedrängnis bringen könnte.

Amerikanische Forderungen, in der neuen Welthandelsorganisation auch soziale und umweltspezifische Problembereiche einzubringen, kommen daher in einem für sie denkbar ungünstigen Augenblick. Das Statement des US-Delegierten in der Escap-Sitzung, wonach seine Regierung mit einer internationalen Konkurrenz Probleme habe, „die auf einer Ausbeutung von Arbeitern oder der Umwelt“ begründet sei, goß Öl aufs Feuer und wurde sogleich heftig angegriffen. Nicht nur Indien, auch andere asiatische Staaten erblicken darin den Versuch der von Arbeitslosigkeit geplagten Industriestaaten, sich die billige asiatische Konkurrenz mit der Etikette des social dumping vom Hals zu halten.

Und nach dem Einbringen von TRIPs sehen einzelne Zeitungen bereits ein neues Gespenst auftauchen: TREMS – handelsbezogene Umweltmaßnahmen.

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