Gerichte zurück in die dreißiger Jahre

■ Das von der Bonner Koalition geplante "Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994" würde mit der Rechtskultur kurzen Prozeß machen. Anwaltsverbände protestieren heftig, aber die SPD-Vorschläge sind kaum...

Gerichte zurück in die dreißiger Jahre

Als der albanische Asylbewerber in der Kölner Rechtsanwaltskanzlei von Christoph Meertens erschien, da hatte er schon zwei Leidensgeschichten hinter sich: Erst war er von rechtsradikalen Jugendlichen zusammengeschlagen worden und dann in die Mühlen der deutschen Justiz geraten. Der ursprünglich in einem thüringischen Asylbewerberheim untergebrachte Flüchtling war nach dem Überfall in panischer Angst nach Westdeutschland geflohen und hatte dort unter falschem Namen gelebt.

Nicht nur eine Anklage wegen Asylmißbrauchs und Betrugs brachte ihm das ein, als er später in Köln aufgegriffen wurde, sondern auch eine Verurteilung. Mehrere Monate saß er im Gefängnis, obwohl er bei dem rassistischen Überfall so schwer am Kopf verletzt worden war, daß er bleibende neurologische Schäden davontrug und seither nach Meinung seines Anwalts schuldunfähig ist. Aber das hatte die Richterin in der Eile eben nicht wahrgenommen.

Für Christoph Meertens, der den Albaner nun als Nebenkläger im Prozeß gegen dessen rechtsradikale Peiniger vertritt, zeigt der Fall, was Angeklagten blühen kann, wenn das Strafprozeßrecht nach den Vorstellungen der Regierungsfraktionen verschärft und beschleunigt wird. Was dem sprachunkundigen Albaner widerfuhr, könnte dann auch deutsche Beschuldigte erwarten – mit weniger drastischen Strafen, aber in gleicher Eile auch vermeintlichen oder tatsächlichen Verkehrssündern. „Je mehr der externe Druck auf das Strafverfahren erhöht wird, desto mehr steigt die Gefahr von Fehlurteilen“, warnt Meertens, der Geschäftsführer der Strafverteidigervereinigungen ist.

Genau diesen Druck aber wollen nun sowohl die Bonner Koalition mit einem „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ als auch die Sozialdemokraten mit einem Gesetzespaket gegen Organisierte Kriminalität verstärken – und dabei die Rechte von Beschuldigten einschränken und das Verfassungsrecht beschneiden. Für so alarmierend halten der Deutschte Anwaltsverein, die Strafverteidigervereinigungen sowie die ehrwürdige Bundesrechtsanwaltskammer mit ihren 71.000 Mitgliedern diese Vorhaben, daß sie gestern erstmals in ihrer Geschichte gemeinsam zu einer „Informations- und Protestveranstaltung“ nach Bonn luden. Am kommenden Montag nämlich sollen sich der Innen- und Rechtsausschuß des Bundestages in einer Expertenanhörung ausführlich mit den von der Koalition und der SPD geplanten Gesetzesänderungen befassen, deren Auswirkungen bislang in der Öffentlichkeit noch kaum diskutiert wurden.

Ihren Auftrag als Organe der Rechtspflege nahmen die Vertreter der Rechtsanwälte in Bonn gestern ernst. Die Eingriffe, die das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ vorsieht, lassen sich ihrer Meinung nach nur mit „gravierenden Rechtsverkürzungen“ in den dreißiger Jahren vergleichen, die zudem noch „bestürzend ähnlich“ begründet waren. Das beschleunigte Verfahren löst bei den Juristen „Assoziationen zu polizeistaatlichen Prozessen“ aus.

Von den Parteien fühlen sich die Anwälte dabei ziemlich alleingelassen. Trotzdem appellierten sie an die Bundestagsabgeordneten, „derartige schwerwiegende Eingriffe in das Verfassungs- und Strafprozeßrecht nicht in Wahlkampfzeiten am Ende einer Legislaturperiode zu beschließen“.

Besorgt sind die Juristen vor allem über das aufgeheizte Wahlkampfklima. Der hessische Datenschutzbeauftragte Professor Winfried Hassemer klagte in Bonn, daß unter Kriminalpolitik heute nur noch Sicherheitspolitik verstanden wird, daß die Instumente der Repression ständig erweitert werden, während über die der Prävention kaum mehr nachgedacht wird. In solch einem Klima aber, so beklagte Hassemer, wird dann nicht einmal mehr eine gründliche Untersuchung vorgelegt, was bisher Ausweitung von Polizeibefugnissen und Einschränkung von Beschuldigtenrechten gebracht habe.

Die Untersuchung, was bisherige Einschränkungen an Wirkung gezeitigt haben, unterblieb auch bei der Regelung des Beschleunigten Verfahrens, wie der Saarbrücker Rechtsanwalt Professor Egon Müller monierte. Wenn die Vorschläge durchkommen, so würden Angeklagte oft aus Angst oder weil sie überrumpelt seien auf Rechte verzichten, sagte er voraus. Denn im Regelfall dürfte der Beschuldigte ohne Rechtsanwalt sein.

Für Hassemer steht fest, „daß ein brutales Strafrecht am Ende auch die Leute brutalisiert“. Aber an der „Brutalisierung der Sprache, der Einteilung in Gut und Böse“ beteiligt sich auch die SPD, wie er beobachtet. Auch ihr Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität grauste die Juristen in Bonn. Ein „Verstoß gegen die Unschuldsvermutung“ ist für die Anwälte die von der SPD geplante Einziehung mutmaßlich kriminell erworbenen Vermögens.

Deshalb bedeutet selbst ein möglicher Regierungswechsel für Christoph Meertens, den Geschäftsführer der Strafverteidigervereinigungen, keinen Hoffnungsschimmer. „Wenn es eine Große Koalition gibt“, so fürchtet er, „dann wird das ebenfalls ohne große Schwierigkeiten verwirklicht.“ Hans Monath, Bonn