Das Ende eines Hoffnungsträgers

■ Japans Premier Hosokawa verkündete seinen Rücktritt wegen einer Bestechungsaffäre

Tokio (taz) – Japans politische Zukunft ist seit gestern erneut offen und ungewiß. Nach dem unerwarteten Rücktritt von Premierminister Morihiro Hosokawa bestanden am Freitag kaum Aussichten auf eine rasche Beilegung der schwersten Regierungskrise seit dem Machtwechsel im vergangenen Sommer. Während eine unmittelbare Rückkehr der Liberaldemokraten an die Macht wohl ausgeschlossen ist, konnten die Spitzenpolitiker der Regierungsparteien keine Garantie für den Fortbestand ihrer Koalition geben. „Es gibt derzeit keine Pläne, die Koalition zusammenzuhalten“, sagte Regierungssprecher Masayoshi Takemura, nachdem bereits erste Meinungsverschiedenheiten über den Nachfolger Hosokawas an die Öffentlichkeit gedrungen waren.

Begleitet von der Enttäuschung und Resignation vieler Japaner, aber auch unter dem Lob der Kritiker für seine Prinzipientreue, gab Premierminister Morihiro Hosokawa am Freitag überraschend seinen Rücktritt bekannt. Hosokawa hatte erst vor acht Monaten als Führer einer Acht-Parteien-Koalition die seit 38 Jahren regierenden Liberaldemokraten auf der Regierungsbank abgelöst. Sein Name, der gestern vor allem in Washington und Peking gepriesen wurde, stand außenpolitisch für ein klares Schuldbekenntnis zur japanischen Kriegsvergangenheit und innenpolitisch für die Reform der übermächtigen Bürokratie und des korrupten politischen Systems. „Ich trage dafür Verantwortung, daß nicht alle Reformen bislang verwirklicht wurden“, entschuldigte er sich in seiner Rücktrittserklärung.

Er selbst nannte den auf ihn gefallenen Verdacht von Steuerhinterziehungen in den achtziger Jahren als Grund für seinen plötzlichen Rücktritt. „Ich fühle mich moralisch verantwortlich“, erklärte Hosokawa. „Der Premierminister sollte über jeden Verdacht erhaben sein.“ Tatsächlich hatte die Opposition im Parlament alle Beratungen über den bereits in Verzug geratenen Staatshaushalt boykottiert, solange Hosokawa die Nachweise über den Verbleib eines Darlehens in Höhe von 1,6 Millionen Mark schuldig blieb. Hosokawa hatte das Darlehen bereits 1982 von dem seither in zahlreiche Skandale verwickelten Paketexpreßdienst Sagawa Kyubin erhalten und das Geld gegenüber dem Steueramt nicht als politische Spende ausgewiesen. Hinzu kam der von Hosokawa gestern selbst eingeräumte und bisher nicht publizierte Verdacht, sein Vermögensverwalter habe weitere Gelder unter Umgehung des Fiskus angelegt.

Die Reaktionen in Japan blieben dennoch geteilt. „Hosokawa blieb keine andere Wahl als der Rücktritt“, kommentierte der Politologe Kenzo Uchida. Doch viele Japaner wollten den bis vor kurzem noch populärsten Premier der Nachkriegszeit nicht so leicht ziehen sehen. „Er scheut die Verantwortung“, zürnte ein Unternehmer. „Es ist bei allen internationalen Standards völlig unverständlich, wie ein Regierungschef zurücktreten kann, der so populär ist“, empörte sich ein Freund des Premiers. Außergewöhnlich waren auch die Umstände des Rücktritts: Hosokawa traf seine Entscheidung nur in Absprache mit seiner Frau unter Umgehung aller politischen Berater. Und obwohl er nun bereits der fünfte japanische Premier in fünf Jahren ist, der frühzeitig zurücktritt, ist er der erste, dessen Schritt aus eigenem Antrieb, ohne den Zwang einer kritischen Öffentlichkeit erfolgt.

Als Nachfolger bot sich den Japanern gestern nur der amtierende Außenminister und frühere liberaldemokratische Finanzminister Tsutomu Hata an. Ihm wird zumindest zugetraut, den transparenten Regierungsstil Hosokawas fortsetzen zu können. Doch haftet ihm der Makel seiner früheren Regierungstätigkeit an, weshalb seine Kandidatur fürs höchste Amt auf den heftigen Widerstand der Sozialdemokraten stieß. Deren Vorsitzenden Tomiichi Murayama, der bereits als Gegenkandidat genannt wurde, kann sich freilich kaum ein Japaner als Regierungschef vorstellen. Haben doch die Sozialdemokraten als größte Partei innerhalb der Koalition das Pech, derzeit nur über brave Lokalpolitiker an der Spitze zu verfügen.

Zurück bleibt dennoch kein Chaos. Japan wird in jedem Fall von einer standfesten Bürokratie regiert, der viele Beobachter mehr Einfluß einräumen als der Politik schlechthin. „Die Bürokraten sind die wahren Sieger, denn für sie war Hosokawa der erste ernstzunehmende Gegner“, folgerte ein Wertpapierspezialist aus den zum Tagesschluß fast unveränderten Kurswerten an der Tokioter Börse. Georg Blume Seiten 6 und 10