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Blaubarts letztes Teestündlein

■ Ein britischer Plüschkrimi wird plattgemacht: „Droom von Leev un Aventüer“ im Waldau-Theater

Achja, sie spinnen, die Engländer. Lassen sich über Tage hinweg von der Teatime-Dramatik eines einzigen Cricket-Spiels fesseln, zahlen für fünfeinhalb Wimbledon-Erdbeeren mit Sahne drei Stundenlöhne und berauschen sich an trüben Bieren, für die es in Dortmund, Pilsen oder Kulmbach glatt verschärften Kerker für den Braumeister geben würde. Und wenn sie mal ins Theater gehen, so bescheiden sie sich mit Stücken vom Schlage „Love from a stranger“, das ein Mr. Frank Vosper mit größtem Erfolg aus einer dünnen Kurzgeschichte von Agatha Christie entwickelte.

Nun gibt–s den auf Deutsch als „Ein Fremder klopft an“ im Bühnenkrimi-Regal geführten Theaterbrei auch op Platt als Schlaftablette für den niederdeutschen Dorfbullizisten. Für das Ernst Waldau-Theater hat Rolf B. Wessels den strapaziösen Langeweiler als „Droom von Leev un Aventüer“ in Szene gesetzt und sich damit seine Abschiedsvorstellung als Regisseur des Hauses denkbar schwer gemacht. Die schnell erzählte Story, die da über zweieinhalb Stunden ausgewalzt wird: Frollein Cillie gewinnt ganz groß im Lotto, gibt daraufhin ihrem biedersinnigen Verlobten den einstweiligen Laufpaß, um eben jenen„Droom von Leev un Aventüer“ mal live zu erleben. Fällt dann prompt auf einen gleißnerisch-unterhaltsamen Fremden rein, der sie per Ehevertrag und gemeinsamen Hauskauf in ländlicher Idylle an sich kettet, um sie dann auszunehmen wie eine Weihnachtsgans.

Und weil dieser bitterböse Klaus eigentlich ein amerikanischer Massenmörder ist, kann er auch in Flachdeutschland auf diese Passion nicht verzichten und trachtet Frauchen nach Hab und Gut und Leben – die Waldau-Stammbesucherin neben mir zischte diesen Lauf der Dinge ihrer Nachbarin schon nach zwanzig Spielminuten mit prophetischer Exaktheit ins Ohr und wusste auch schon im Vorhinein, daß die seute Deern Cilli dem Finsterling wohl noch entkommen würde. Tat sie denn auch quälende zwei Stunden später, mit angeblich vergifteten Kaffee, den sie dem Gatten servierte. Ob der nun vor Schreck umfiel oder tatsächlich mit E 6O5 gewürzten Mokka getrunken hatte, wusste am Ende niemand so genau, interessierte aber so recht eigentlich auch keine Sau.

Dabei erfüllte Imke Bahr als Cilli sämtliche Forderungen des Weibchen-Schemas auf das Vorteilhafteste und Horst Arenthold als plattdeutscher Blaubart rollte mit den Augen so durchgeknallt wie ein hundertprozentig-echter Bühnenpsychopath. Warum Thomas Fenkl in seiner geduldiger Blässe den Laufpaß erst nach dem Verlöbnis bekam, illustriert anschaulich die Blindheit und Taubheit, mit der Liebe schlagen kann. Das übliche Speeldeel-Personal stellten Rolf Bahr als kichernder Gärtner, Ruth Wolkowski als naiver Haustrampel, Dorothea Dröge als plietsches Tantchen und Wiegand Haar als der gute Onkel Doktor mit präziser Routine. Hundsgemein sprang der Barbier des Theaters mit Birgit Scheibe um, die als Cillies allerbeste Freundin Marlies mit einer so irrsinnig-grauslichen Blond-Perücke ausgestattet war, daß man darüber sonst kaum etwas wahrnehmen konnte.

Und wenn das Ernst Waldau-Theater schon Tantiemen für ein solch platt auf platt gewalztes Unstück verschleudert, so darf doch wohl die klitzekleine Anfrage gestattet sein, warum nun auch der Blaubart aus Amerika sein Sprüchlein in niederdeutscher Bühnensprache aufsagen muß, ohne daß man ihm auch nur den Hauch eines Kaugummi-Akzents gestattet hätte, der doch wenigstens noch für ein paar Lacher gut gewesen wäre. Auf solche langen Sätze aber kommt man – nach so einem furchtbar langen Stück... Ulrich Reineking-Drügemöller

Nächste Vorstellungen: 17., 22., 24. und 29.4 im Ernst-Waldau-Theater (Waller heerstraße 165)

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