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Sieben Quadratmeter Deutschland

■ Bosnische Flüchtlinge im Volkspark: Das Leben wird zur Qual Von Sannah Koch

Ein protziger Glaspalast, einige hundert Quadratmeter groß, geräumig, hell, luxuriös, entsteht am Bornkampsweg. Für Autos. Jedes wird künftig mindestens 25 komfortable Quadratmeter Ausstellfläche bekommen. Wenige hundert Meter Luftlinie entfernt träumen 150 Frauen, Kinder und Männer von derart viel Platz zum Leben. Ihr Lebensraum umfaßt sieben Quadratmeter Wohnwagen, darin kochen und essen, arbeiten und schlafen bis zu fünf Personen. Das bosnische Flüchtlingslager im Volkspark – das erste, das die Hansestadt vor anderthalb Jahren für muslimische Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien eingerichtet hat, wird für seine BewohnerInnen langsam zur Qual.

„Wir klappen den Couchtisch herunter“, antwortet die 16jährige Alida auf die Frage, wo sie, ihre beiden Brüder (8 und 15 Jahre) und ihre Eltern in dem engen Campingmobil schlafen. Durch diesen Handgriff entsteht eine etwa 1,30 Meter schmale Liegefläche, die Alida seit zwanzig Monaten nachts mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder teilt. „Wenn ich Schulaufgaben machen will, muß ich meine Eltern bitten, den Wagen zu verlassen“, klagt das blasse Mädchen. An einem Frühlingstag ist das ein An-sinnen, dem die Eltern für einige Stunden nachkommen können. Sie sitzen dann mit ihren Leidensgenossen auf Bänken zwischen den Wohnwagen – auf der Wiese gleich neben dem Freibad, auf der gerade die Regenpfützen der vergangenen Wochen zu trocknen beginnen.

Die Schlammspuren in den 20 Gemeinschaftsklos und -duschen verschwinden jedoch nicht so schnell. Klamm, stinkig und durch den aufgeweichten Boden immer schmutzig – die Sanitäranlagen lösten zunehmend Hautallergien bei ihnen aus, klagen die Flüchtlinge, der Ekel nehme immer mehr zu. Blasenerkältungen und Unterleibserkrankungen gehören für die Frauen derweil zum Alltag, viele der 60 Kinder leiden durch den ständigen Aufenthalt im Freien an Ohrenentzündungen.

„Wir danken der Stadt Hamburg, daß sie uns aufgenommen hat und den Menschen, die uns versuchen zu helfen, von ganzem Herzen“, betonen die Flüchtlinge jetzt in einem Brief an die Sozialbehörde. Doch nach anderthalb Jahren in dem Wohnwagencamp haben sie den dringenden Wunsch, in feste Unterkünfte umzuziehen. Ihre Existenzgrundlage sei zerstört, ihre Heimat von den Serben „ethnisch gesäubert“: „Wir müssen uns deshalb auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland einrichten.“

Aber nicht im Wagendorf: „Camping ist im Sommer schön, aber die Winter sind schlimm.“ Zwei hat Alida bereits in Hamburg erlebt – ein dritter, so die LagerbewohnerInnen, sei nicht mehr zumutbar; das hätten auch die Mitarbeiter der Caritas und der Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe bestätigt. Ihr Wunsch an die Sozialbehörde: Eine Unterbringung in Pavillons auf diesem Platz.

Es wird ein Wunsch bleiben. „Pavillons kommen nicht in Frage“, wehrt Sozialbehörden-Sprecherin Christina Baumeister ab. Dafür fehlten das Geld und eine geeignete Fläche. Eigentlich habe die Behörde geplant, die bosnischen Flüchtlinge Zug um Zug aus den Wohnwagen und den Billigpensionen in Containerdörfer umzusiedlen. Doch die aktuelle Lage im Bürgerkriegsgebiet macht diese Pläne zunichte.

„Jeden Monat kommen immer noch bis zu 400 Flüchtlinge nach Hamburg“, so Baumeister. Rund 10.000 Menschen aus Ex-Jugoslawien leben bereits in der Hansestadt, sie sind bei Verwandten, auf zwei Wohnschiffen, in drei Wohnwagencamps, Containerdörfer und Hotels untergebracht. Auch in der Boehn-Kaserne in Rahlstedt sollen künftig noch 450 Plätze geschaffen werden. „Vermutlich wird das aber auch noch nicht ausreichen“, schätzt sie.

Vermutlich werden die Flüchtlinge noch den Einzug der Luxuskarossen in die geräumige Nobelherberge in der Nachbarschaft erleben dürfen.

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