Berufsbekleidung: Wolle pur

■ Bremer Rohwoll-Einkäuferin im Streß zwischen Fax und Fabrik

Wenn Firmenbesuch kommt, trägt Anke Gust einen Wollrock und ein Wolljacket. Seit ihrer Lehrzeit auf Farmen und bei Auktionen in Australien hat sie ein Händchen für Wolle. Heute sitzt die 27jährige am Schreibtisch: Anke Gust ist bundesweit eine der jüngsten Managerinnen und Börsenmaklerinnen im Rohwollgeschäft. Seit ihrem 23. Lebensjahr arbeitet die gelernte Industriekauffrau als Einkäuferin der Bremer Woll-Kämmerei, der einzigen noch bestehenden Kämmerei in Norddeutschland.

Rohwolle von bis zu 55.000 Schafen wird dort täglich gewaschen, gekrempelt, gekämmt und als „Kammzug“ weltweit an Spinnereien weiterverkauft – vorausgesetzt der Rohwolleinkauf stimmt. „Wenn wir nicht einkaufen, können unsere Maschinen nicht laufen“, sagt Gust. Und deshalb wird schon mal bis spät in die Nacht Einsatz verlangt. Wenn bei ihr zu Hause nachts das Telefon klingelt, weiß die Geschäftsfrau, wer dran ist: Ein australischer „Wool-Buyer“ (Wolleinkäufer) aus Sydney, Melbourne oder Fremantle braucht ihren Rat.

Am nächsten Morgen geht's dann weiter mit Anrufen, Angeboten und Anfragen. Zwischen acht und zehn Uhr rufen die Australier kurz vorm dortigen Büroschluß an, ab zwölf Uhr melden sich die Südamerikaner, von 13 Uhr an die Anrufer aus den Vereinigten Staaten. Zwischendurch kommen immer wieder Angebote von deutschen Agenten. Die Wolle „der deutschen Schafe vom Deich“ ist in der Regel allerdings zu grob für die Bremer Kämmerei. Deshalb wird auch nur zurückhaltend bei der einzigen deutschen Wollauktion in Ulm eingekauft.

Entscheidende Eckdaten für den weltweiten Einkauf erhält die Woll-Expertin per Fax. Rund 50 Faxe täglich treffen bei ihr ein. Da geht es um Kontingente, Feinheit und Festigkeit der Wolle. „Je schwerer die Wolle zu reißen ist, desto gesünder ist sie“, erläutert Gust. Spätestens seit ihrem Jahr in Australien weiß sie auch, daß die Wolle von Rücken und Flanken der Merinos die sauberste ist.

In Australien konnte Anke Gust das Material ständig vor Ort überprüfen. In Bremen macht die 27jährige so oft wie möglich Qualitätskontrollen. Sie geht dazu in die alte Klinkerhalle des derzeit unter der Rezession leidenden Traditionsunternehmens. Dort stapeln sich die Woll-Lieferungen in meterhohen Ballen, und die Maklerin „valuiert“: Sie zupft eine Probe heraus, guckt, fühlt, tastet, ob die Ware so reißfest und hochwertig ist wie geordert. Wenn nicht, sendet die 27jährige schon mal „ein bitterböses“ Fax an den Lieferanten. Zehn-Stunden-Tage sind für Gust keine Seltenheit. Nicht selten steht anschließend auch noch ein Geschäftsessen auf dem Terminplan. So möchte beispielsweise ein australischer Woll-Farmer „deutsche Gemütlichkeit“ studieren.

Sabine Komm/dpa