Für "Nachbetrachtungen" ist es zu früh -betr.: "Nachbetrachtungen", taz vom 8.4.94

Betr.: „Nachbetrachtungen“, taz vom 8.4.

Lieber Manfred Dworschak: Drittel Seite, sechsspaltig, im Kasten: darunter geht es nicht, wenn Du mal wieder unserer Stadt die Leviten liest. Diesmal, weil niemand so recht sich empören mochte, daß die „Bremer Nachrichten“ (BN) mit einer fatalen Überschrift über in Deutschland zunehmenden Antisemitismus berichtete; daß Verleger Ordemann den verantwortlichen Redakteur daraufhin degradierte und der so Degradierte seinen Dienst quittierte; daß er sich danach zu rechtfertigen suchte und die „taz“ Bremen dies in Auszügen abdruckte. Alles ohne rechtes Echo: ein Rätsel, das Du uns nun auflöst.

Nebenbei erfahren wir den Unterschied zwischen der „taz“ und den „BN“: Michael Sontheimer, der die Ideologie der rechtsradikalen Brandstifter in einem Satz gegen sie untergebracht hat, ohne sie als Zitat sichtbar zu machen, ist noch Chefredakteur der „taz“; Walfried Rospek aber, der die Verbreitung eines antisemitischen Vorurteils zitiert hat, ohne dies sorgfältig und auch für den schnellen Blick unmißverständlich als Zitat zu kennzeichnen, wurde ohne Debatte als Ressortleiter abgesetzt.

Ganz nebenbei wird die Gräfin Dönhoff bei einer „Relativierung“ des Brandanschlags in Lübeck ertappt: Sie hatte auf die allgemeine gefährliche Tendenz hingewiesen, Faust- und Brandrecht an die Stelle politischer Auseinandersetzung zu setzen. Aber meinst Du denn im Ernst, daß es zwischen dem Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck, den Anschlägen auf Läden von Türken, weil und nur weil sie Türken sind, und dem Brandangriff auf das Stadtamt in Bremen keinen inneren Zusammenhang gibt?

Du behauptest, in allen drei Fällen würden die „Zungen der faschistischen Unvergangenheit“ „aus“ den Journalisten „sprechen“. So etwas mag es geben. Aber im Fall Rospek nach meiner Überzeugung nicht; das ist vielmehr ein drastisch schiefgegangener Versuch, das schwierige Problem zu lösen, wie man den Antisemitismus, den es real gibt, als Berichterstatter behandelt. Ob man über ihn berichtet oder ob man ihn beschweigt. So waren die Weser-Kurier-Redakteure ja stolz darauf, daß sie die Ergebnisse der Emnid-Umfrage nur als kleine Meldung gebracht haben; aber die jüdischen Organisationen hatten doch der Presse die Ergebnisse gerade übergeben, damit sie berichtet, als Warnung und Aufforderung zum Handeln.

Andererseits hat ein Kommentar der „Frankfurter Rundschau“ kürzlich gefordert, über die Angriffe Schönhubers auf Bubis und Friedman, über die Verhandlungen des Gerichts usw. hätte man nie und nichts berichten dürfen, weil jeder Bericht die – wenn auch kritisierte – Auffassung doch vervielfacht und weiterverbreitet.

Auch wenn man die Frage nicht so radikal stellt, erfordert der Bericht jedenfalls Fingerspitzengefühl, journalistisches Handwerk und Sorgfalt. Das hat dem Redakteur Rospek in diesem wie auch schon in anderen Fällen gefehlt. Und manchmal macht man auch gerade den Fehler, den man auf keinen Fall machen will. Erinnerst Du Dich, wie die „taz Bremen“ im vergangenen Sommer zwei Bildunterschriften vertauschte und dadurch ein jüdischer Gast der Stadt als Nagetier bezeichnet wurde? Wir alle sind aus Scham in den Boden versunken; aber ich glaube nicht, daß „es“ da aus der „taz“ gesprochen hat. Deswegen schließe ich mich auch dem Satz Rospeks an, aus Kenntnis seiner Person und seiner Texte: Wer ihn kennt, weiß, daß er kein Antisemit ist.

Eigenartig war in der Tat, daß die Öffentlichkeit in Bremen über die Überschrift wohl – mehr oder weniger – erschrocken war, daß es aber wenig Neigung gab, über das journalistische Problem zu diskutieren. „Weser-Kurier“ und „Bremer Nachrichten“ kennen eine selbstkritische öffentliche Debatte ohnehin – leider – nicht. Die „taz“ hat lange gewartet; allgemein war das Gefühl zu spüren, daß man bei einer solchen sensiblen Frage nur alles falsch machen kann. Texte wie Deine „Nachbetrachtungen“ tragen zu solchem Klima bei.

Abschließend wiederhole ich, was ich Rospek persönlich geschrieben habe: Die Überschrift in der Form, wie sie erschienen ist, ist ein schlimmer Verstoß gegen journalistische Sorgfaltspflicht. Die Art und Weise, wie mit diesem Fehler umgegangen wurde, zeigt, daß hier aus Unsicherheit exemplarisch abgestraft und das Problem „erledigt“ werden sollte. Ich habe für das journalistische Dilemma, das ja auch in meiner parlamentarischen Tätigkeit oft auftritt, keine Patentlösung. Leute, die behaupten, sie zu haben, sind mir nicht ganz geheuer, mein Lieber.

Hermann Kuhn, MdBB