Fliegende Mafia

■ Nach dem Brandanschlag: Stadtamt an der Katastrophe knapp vorbeigeschrammt

„Wenn da mehr Sauerstoff drin gewesen wäre, dann wäre das Haus in die Breite gegangen, sagt der Experte.“ Eine makabere Vorstellung, die Stadtamtschef Hans-Jörg Wilkens gestern entwickelte. Wilkens, der gestern aus dem Urlaub zurückgekommen war, hatte sich nach den Umständen des Brandanschlags vom Donnerstag vor Ostern erkundigt, und das Gespräch mit allen Beteiligten machte deutlich: Bremen ist knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, eine klitzekleine Änderung der Umstände hätte genügt, und es wäre zu einer Explolosion der Benzindämpfe gekommen, die das ganze Stadtamt zum Einsturz gebracht hätte. Eineinhalb Wochen nach der Tat ist das Amt wieder geöffnet, doch während die BauarbeiterInnen den Schutt wegräumen und die angekokelten Akten kopiert werden, die innerbehördlichen und politischen Aufräumarbeiten werden noch lange andauern. Und da hat sich einiges aufgetürmt: MitarbeiterInnen beklagen die zunehmende Gewalt, die ihnen von den BremerInnen entgegengebracht wird, von mafiaähnlichen Zuständen ist die Rede, Forderungen nach Schutzmaßnahmen wie Trennscheiben werden laut, und das Stadtamt insgesamt fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Wilkens: „Wenn das im Rathaus passiert wäre, hätte die Reaktion anders ausgesehen.“

„Es wäre gut für die Seele und die Motivation der MitarbeiterInnen gewesen, wenn sich mehr Leute hätten sehen lassen“, kritisierte Hans-Jörg Wilkens. „Den Schuh ziehen wir uns nicht an“, kontert Merve Pagenhardt, Sprecherin des Innensenators. Schließlich sei der Innenstaatsrat Volker Hannemann sofort vor Ort gewesen. Und in den letzten Jahren sei einiges zum Schutz der Bediensteten passiert, zum Beispiel im Ausländeramt. Daon ist im Stadtamt aber offensichtlich nichts zu spüren. Die Bediensteten fordern in ihrer Angst mittlerweile Umbauten, Tresen und Trennscheiben. So weit will die Amtsleitung nicht gehen, aber so ganz ohne Auswirkungen wird der Schock vom Gründonnerstag nicht bleiben. In der Diskussion ist ein Wachdienst für das Stadtamt, der sichtbar abschrecken soll, genauso wie Konfliktseminare.

Was der Personalrat in der vergangenen Woche nur angedeutet hat, das bestätigt der Amtsleiter: Neben den Übergriffen, die auf eine allgemein gestiegene Gewaltbereitschaft zurückzuführen sind, wächst ein Bereich organisierter Kriminalität, der den sensiblen Bereichen im Stadtamt immer mehr zu schaffen macht, organisierter Druck auf die Kontrollbehörden. Da ist der Fall eines Mitarbeiters des Gewerbeaußendienstes, der die Gewerbegenehmigungen der fliegenden Händler in der Sögestraße kontrollieren wollte, und sich flugs von einer ganzen Händlerschar umringt sah, die ihm drohte, er würde „allegemacht“, wenn er einschreitet. Und das war schon die zweite Eskalationsstufe. Wilkens: „Die haben ihm erst Geld angeboten.“ Die Zeiten, in denen nur eine MitarbeiterIn diesen Bereich kontrollierte, sind vorbei, seit dem Vorfall gibt es dort nur noch eine Doppelstreife. „Viele fliegende Händler haben sich organisiert“, erzählt ein Bediensteter. „Mafiaähnliche Zustände“ nennt das der Personalrat. Und „mafiaähnlich“ sind auch die Geschichten aus dem Gaststättenbereich, der das Ziel des Anschlags war. „Die Namen der MitarbeiterInnen werden in den entsprechenden Kreisen gehandelt“, erzählt Wilken. Wo es für die AntragstellerInnen um bares Geld geht, ist die Bedrohung der MitarbeiterInnen aus der Genehmigungsbehörde nicht weit. Und die nimmt zu, sagt die Amtsspitze.

Das ist genau der Grund, weshalb die Amtsspitze erhebliches Interesse an der Klärung der Frage hat, ob der Attentäter vom Gründonnerstag ein Einzeltäter war oder ob hinter ihm größere Zusammenhänge standen. Die Antwort ist offen. Der Anschlag jedenfalls hatte keinen unmittelbaren Zusammenhang mit einer nicht erteilten Lizenz für den Attentäter. Sollte sich am Ende erweisen, daß es doch nicht die Tat eines einzelnen war, dann wäre eine neue Stufe der Eskalation erreicht.

J.G.