Glückliche Haltestellenfamilien

■ Die BVG hat einen Preis bekommen / Das American Center for Design in Boston ehrte das ganzheitliche Erscheinungsbild der Berliner Verkehrsbetriebe

„Das ist unsere BVG gar nicht gewohnt“, staunte Herwig Haase, und da muß man unserem autophilen Verkehrssenator ausnahmsweise zustimmen. Die BVG hat nämlich einen Preis bekommen. Nicht für einen Spitzenrekord beim Schienenersatzverkehr zur Rush hour, auch nicht für das bekanntermaßen freundliche Bahnhofspersonal. Ausgezeichnet wurde ihr „Corporate Design“, ihr ganzheitliches Erscheinungsbild.

Zufall oder logische Konsequenz? Die StifterInnen des Preises kennen die Berliner Verkehrsbetriebe nur aus der Theorie. Hinter dem großen Teich sitzen die großen BewundererInnen der durchgestylten „BVG-Haltestellenfamilien“, der einheitlichen „Hausfarben“ gelb und weiß und der „familiengerechten U-Bahn- Innenarchitektur“, genauer gesagt im American Center for Design in Boston. Gestern mittag durfte BVG-Chef Konrad Lorenzen den „Beacon Award“, die höchste US- Auszeichnung für das Erscheinungsbild eines Unternehmens, feierlich in Empfang nehmen.

Dabei schmückt sich Lorenzen im Grunde genommen mit fremden Federn. Ausgeheckt hat das preisgekrönte BVG-Erscheinungsbild nämlich die Berliner Firma Meta Design, die seit nunmehr fünf Jahren immer neue Vorschläge erarbeitet, wie das Bus- und Bahnfahren zum ästhetischen Genuß wird. Begonnen hat alles noch zu Mauerzeiten mit dem Austausch der ollen Stengel-Haltestellen im Westen durch die klotzigen Kubussäulen. Zur mathematisch interessanten Vereinigung von BVG (West) und BVB (Ost) zur BVG steuerte Meta Design unter anderem die einheitliche Beschilderung der Fahrzeuge („Achten Sie mal darauf, überall stoßen Sie auf die lesefreundliche Frutiger- Schrift“) bei, und im vergangenen Jahr holte die Firma schließlich zum großen Schlag aus: Der Tag wird kommen, an dem alle Berliner U-Bahnen, Busse und Straßenbahnen im sonnengelben Gewand daherkommen. Wenn sie denn kommen.

Doch das Corporate Design der BVG bietet noch viel mehr. Dazu gehöre nicht nur die „einheitliche Ausstattung der Geräte- und Fahrzeugfamilien“, sondern auch die inhaltliche Gestaltung, weiß BVG- Chef Konrad Lorenzen. Damit meint er allerdings lediglich Sauberkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit. Verschlechterte Taktfrequenzen, eingestellte Linien und Preiserhöhungen sind mit dem „besonders kundenfreundlichen“ Design durchaus vereinbar.

Kosten bleiben Staatsgeheimnis

Was die Fahrgäste das edle Styling kostet, wird in der BVG-Chefetage als Staatsgeheimnis behandelt. Meta Design hat in den vergangenen fünf Jahren nach eigenen Angaben „weit unter zwei Millionen Mark“ erhalten, doch darüber hinaus kann oder will Konrad Lorenzen keine Summen nennen: „Hier gibt es doch eine Vielzahl von Posten, die man nicht isoliert betrachten kann.“ Auf jeden Fall seien die Einsparungen größer als die Kosten. So hätten die cleveren Leute von Meta Design zum Beispiel herausgefunden, daß bei der BVG bislang 13 verschiedene Aussteigeknöpfe zum Einsatz kamen, künftig sollen es nur noch zwei sein. Für sinnvolle Einsparungen brauchen die Berliner Verkehrsbetriebe also ein Designbüro.

Anderswo scheint man sich jedoch mit denselben Management- Problemen zu plagen. Glaubt man Konrad Lorenzen, hat die BVG schon interessierte Anfragen aus anderen deutschen Städten bekommen. Und das ist überhaupt der große Traum des Herrn Lorenzen, wenn einmal alle Verkehrsbetriebe der Bundesrepublik mit dem gleichen Design daherkommen. Das sei nicht langweilig, sondern erhöhe die Übersichtlichkeit – meint zumindest der BVG-Chef.

Doch bislang steht sogar noch in den Sternen, wann denn einmal der Berliner Nahverkehr im einheitlichen Glanz erstrahlen wird. Um Kosten zu sparen, geht's nur schrittweise voran: Aufgemöbelt werden sollen nur Fahrzeuge und Geräte, die es nötig haben. Nicht zuletzt bleiben – um Protesten vorzubeugen – die historisch gestalteten Bahnhöfe der U 2 für die wackeren Einheits-Designer tabu.

Wenn man ganz genau hinschaut, scheint das ganzheitliche BVG-Konzept längst nicht ausgereift. So werden beispielsweise auch in Zukunft die Hunde der Wachtrupps das ästhetische Empfinden der Fahrgäste stören – weil niemand an sonnengelbe Halsbänder gedacht hat.

Und auch die SchwarzfahrerInnen können von kundenfreundlichen, sonnengelben Uniformen der KontrolleurInnen nur träumen. Micha Schulze