Der Fernsehturm stinkt zum Himmel

■ Die Aussicht auf dem Fernsehturm wird für Besucher zur Qual / Stillgelegte Rohrleitungen im Sockel dünsten aus

Der Aufstieg auf den Fernsehturm am Alexanderplatz gleicht derzeit einem Abstieg in die Fäkaliengrube. Seit Monaten ziehen übelriechende Schwaden durch das Gebäude, das mit seinen 365 Metern zu einem der höchsten in Europa zählt und an den Wochenenden bis zu 4.000 Gäste täglich anzieht. Für die Besucher heißt es bereits an den beiden Personenaufzügen: Nase zu und durch. Die kurze Erholung zum Durchatmen im Fahrstuhl, der in 35 Sekunden den Besucher auf den vollklimatisierten Aussichtsraum in 203 Meter Höhe bringt, endet jedoch abrupt in dem Augenblick, da die Tür geöffnet wird: Die Zugluft bringt jedesmal neue Düfte aus der Tiefe des Turms hinauf. Auch in dem vier Meter darüber liegenden Drehcafé ist an manchen Tagen angestrengt-flaches Atmen angesagt.

Dem Geschäftsführer der „TV- Turm-Alexanderplatz-Gastronomie“, Harmut Wellner, ist die Geruchsbelästigung wohlbekannt. Es sei auf „ungenutzte und ungewässerte Fußbodeneinläufe und Geruchsverschlüsse“ zurückzuführen. Denn im Sockel des Turmes befänden sich etwa zehn Meter über dem Erdboden mehrere Büros aus DDR-Zeiten. Zwei Räume seien von der Staatssicherheit, andere von Technikern der Post genutzt worden. Nachdem sie nun leerständen und die Rohrleitungen der Toiletten nicht mehr von Wasser durchgespült werden, breiteten sich an manchen Tagen die Schwaden im Inneren des Baus aus. „Durch die Schornsteinwirkung des Turmes zieht dann der ganze Schiet nach oben“, meint Wellner. Vor kurzem seien Schweißerarbeiten unterhalb des Turmes durchgeführt worden, deren Gestank man sogar noch im Café gerochen habe: „Da dachten wir, es brennt oben lichterloh.“ Als Pächter will Wellner die Telekom der Deutschen Bundespost, die Eigentümer des 1969 errichteten Baus ist, schon mehrmals auf den Gestank hingewiesen haben. Doch hier war das Problem bis gestern überhaupt nicht bekannt. „Davon hören wir durch Ihren Anruf zum ersten Mal“, erklärte Telekom-Sprecher Bernhard Alexander Krüger der taz. Es hätte sich bislang auch niemand bei den zuständigen Fachleuten beschwert. Wann die Besucher wieder durchatmen können, ist völlig ungewiß. Der Turm, der ein Lieblingsprojekt des einstigen SED-Generalsekretärs Walter Ulbricht war, wird derzeit nach und nach saniert. So wurden kürzlich die Betonsockel, auf denen die Lichtanlage steht, erneuert. Im Sommer soll der Bau dann wieder, so die Telekom, nachts angestrahlt werden. Ab dem 1. November 1995 wird der Turm für über ein halbes Jahr für Besucher gesperrt. In dieser Zeit soll, so Wellner, neben dem Aufzug auch die Klimaanlage, Rohr- und Kabelsysteme saniert sowie die Innenausstattung des Cafés verändert werden.

Die Geruchsbelästigung selbst, meinte Wellner gestern zur taz, hätte bislang noch zu keinen größeren Beschwerden geführt. Immerhin: Telekom-Sprecher Krüger versprach, dem Problem nachzuspüren. Severin Weiland