Naht der Notstand?

■ Experten diskutierten Verbrechensbekämpfungsgesetze

Bonn (taz) – Schwere Bedenken gegen die Gesetzespakete der Koalitionsparteien und der SPD- Fraktion zur „Verbrechensbekämpfung“ haben Rechtsanwälte und -professoren sowie der Bundesbeauftragte für Datenschutz gestern bei einer Anhörung in Bonn vorgebracht. Die von Rechts- und Innenausschuß des Bundestags geladenen Leiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie Polizeivertreter und Staatsanwälte begrüßten dagegen grundsätzlich die Gesetzesvorhaben und verlangten teils weitergehende Regelungen und Handlungsmöglichkeiten für ihre Behörden.

Nicht nur im Urteil über die Wirksamkeit der neuen Instrumente zur Verbrechensbekämpfung, sondern schon in der Diagnose waren sich die Experten uneinig. So bezweifelte der Leipziger Juraprofessor Walter Gropp, daß die Organisierte Kriminalität tatsächlich den Rechtsstaat gefährde. Dagegen argumentierte der Rechtsprofessor Volker Krey, die Bundesrepublik befinde sich bereits in einer „notstandsähnlichen Lage“.

Als bedrohlich sehen die Kritiker vor allem die geplante Beschleunigung von Strafverfahren an, die ihrer Meinung nach wesentliche Beschuldigtenrechte und damit grundsätzliche Errungenschaften aufgeklärter Rechtskultur in Frage stellt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Joachim Jacob warnte vor einer ausufernden Telefonüberwachung. Der Koalitionsentwurf ermöglicht eine enge Zusammenarbeit von BND und Ermittlungsbehörden bei der Bekämpfung internationaler Verbrechen. Nach Jacobs Meinung steht die Enschränkung von Grundrechten in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Ergebnissen. Mit seinen Ermittlern gegen das Organisierte Verbrechen vorgehen möchte Verfassungsschutz-Präsident Eckart Werthebach – eine solche Ausweitung seiner Befugnisse sehen die Gesetzespläne nicht vor.

Als verfassungswidrig und unhaltbar bewerteten die meisten Experten den SPD-Plan, illegal erworbene Vermögen allein aufgrund von Verdachtsmomenten zu beschlagnahmen. Ausdrücklich begrüßt wurde der SPD-Vorschlag jedoch von Christian Hütte, einem Finanzexperten des LKA Hamburg: Die bisherige Gesetzeslage sei unzureichend. Trotz mehr als 1.000 Verdachtsmeldungen innerhalb eines Jahres sei nur ein Betroffener verurteilt worden. Hans Monath