Nur die ersten drei kommen durch

Sieben BundestagsbewerberInnen von Bündnis 90/Die Grünen stellten sich vor / Größte Chancen für Andrea Fischer, Franziska Eichstädt und Gerd Poppe / Soll verändertes Wahlverfahren Poppe verhindern?  ■ Von Dirk Wildt

Brav hörten sich die einhundert Mitglieder am Montag abend im Preußischen Landtag an, was die vier Frauen und drei Männer zu ihrer Kandidatur zu sagen hatten – auf den Zahn wurde keinem gefühlt. Erst nach einer Stunde wurden Franziska Eichstädt-Bohlig, Andrea Fischer, Ralf-Peter Hässelbarth, Gerd Poppe, Juliane Roloff, Christina Schenk und Christian Ströbele auf die heißen Eisen Nato-Beschluß und Atomausstieg sowie die Probleme der Quotierung angesprochen.

Alle BewerberInnen antworteten, als wären sie bereits im Bundestag – dabei haben aber nur die ersten drei auf der Liste eine Chance. Eigene Stärken herausstellen und anderem auszuweichen war das stille Motto nicht nur bei dem 41jährigen Ostgrünen Hässelbarth, der am Ende der Redezeit auf die Fragen zur Frauenpolitik kam, die er nun leider nicht mehr beantworten könne.

Franziska Eichstädt (52), ehemalige Baustadträtin in Kreuzberg und seit einem Jahr Parteimitglied, will sich besonders für die Novellierung der Gesetze zum Wohnungsbau, zur Altschuldenhilfe und zum Bodenrecht einsetzen. „Sonst zersiedeln wir uns zu Tode und ersticken im Verkehr.“ Sie gestand offen ein – und diese Stärke blieb den Frauen vorbehalten –, daß sie nicht erklären könne, wie man aus der Nato aussteige. Sie sei keine Militärexpertin.

Der Parteilinke Christian Ströbele (54), ehemals für die Grünen im Bundestag, will „trotz Utopien die Chancen nutzen“. Wenn Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung in Bonn möglich würden, wäre es fahrlässig, sie nicht zu führen. Er verwies unter anderem auf seine 20jährigen Erfahrungen in einem „sozialistischen Anwaltskollektiv“. Als Jurist wisse er, daß der Vertrag mit der Nato gekündigt werden könne. Beim Atomausstieg berief er sich auf Erfahrungen der ehemalige Umweltsenatorin Michaele Schreyer mit dem HMI-Forschungsreaktor. Ex- Schulsenatorin und Abgeordnete Sybille Volkholz frotzelte aus dem Hintergrund: „Das HMI war aber noch nicht am Netz.“

Kämpferisch zeigte sich Gerd Poppe. Er wurde kritisiert, weil er sich in der Vergangenheit für ein militärisches Eingreifen in Jugoslawien und für den Fortbestand der Bundeswehr aussprach. Der 53jährige Bürgerrechtler und Bundestagsabgeordnete will auch in Zukunft Minderheitenmeinungen vertreten, schließlich komme er aus einem Land, in dem die Partei immer recht hatte. Er erinnerte daran, daß die Grünen den Atomausstieg seit vielen Jahren fordern. Man sollte aus dem Sofortausstieg also kein Glaubensbekenntnis machen, sondern so schnell wie möglich aussteigen. Er sei dafür, die Nato durch ein kollektives Sicherheitssystem zu ersetzen, daß sich an der KSZE orientieren sollte. Denn Rußland müsse mit einbezogen werden. Er halte Utopien konkrete Schritte entgegen, die Menschen verständlich zu machen seien.

Die 34jährige Andrea Fischer, Volkswirtin, will sich für die ökologisch-soziale Wende einsetzen, Verhandlungen für den Sozialstaat führen, für eine bedarfsorientierte Grundsicherung kämpfen und bei der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten dafür Sorge tragen, daß neue Mitgliedsländer Mindeststandards halten können. Die derzeitige Bundestagsabgeordnete Christina Schenk (42) will neben feministischer Politik, dem Kampf gegen die Benachteiligung von Frauen und mehr Transparenz bei Entscheidungsprozessen auch die außerparlamentarische Bewegung aus dem Parlament heraus unterstützen. Sie sei froh, daß im Parteiprogramm Ökologie und Wirtschaft miteinander verbunden seien, die Kritik am Patriarchat vermisse sie aber.

Schenks Bewerbung wird vom Unabhängigen Frauenverband (UFV) unterstützt. Bei der Nominierung des Frauenbereichs von Bündnis 90/Die Grünen hatte allerdings Eichstädt die meisten Stimmen erhalten. Hässelbarth und der 48jährigen Finanzökonomin Juliane Roloff (Bündnis 90), die ihren Schwerpunkt in der Frauen- und Sozialpolitik setzt, werden paretiintern keine Chancen für die ersten drei Listenplätze eingeräumt. Auch Ströbele hat bei der Parteiarithmetik ebenfalls keine Chancen, weil durch die vom Bündnis 90 unterstützte Kandidatur Poppes und eine komplizierte Quotierung zwischen Frau/Mann/ Ost/West die Kandidatur eines Westmanns auf den ersten drei Plätzen ausgeschlossen ist.

Auf der Mitgliederversammlung, die am 23. April endgültig entscheidet, aber sind noch Überraschungen möglich. Dem Landesvorstand liegen inzwischen nämlich Anträge vor, das Wahlverfahren zu ändern. Insbesondere die Ostgrünen fürchten, daß Poppe damit ausgebootet werden soll.