Betr.: Bundesbahn und RollstuhlfahrerInnen

Ursula Lehmann hatte gestern einen Termin in Halle. Deshalb wollte sie sich schon vergangene Woche ein Bahnticket kaufen. Der Schalterbeamte am Bahnhof Zoo sah sich aber außerstande, ihrem Wunsch nachzukommen. Der Grund: Frau Lehmann ist behindert, sie ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Da der Zug von Berlin- Lichtenberg nach Halle aber keinen behindertengerechten Wagen habe, müsse sie einen späteren Zug nehmen. In ihrer Not bot Ursula Lehmann dem Beamten an, im Gepäckwagen mitzufahren – zum normalen Fahrpreis. Auch das sei nicht möglich, meinte der Bahnangestellte, „da würden Sie den Platz für acht Fahrräder blockieren“. Gestern fuhr der Zug von Lichtenberg nach Halle ohne Ursula Lehmann los, aber auch mit zehnminütiger Verspätung. Neun RollstuhlfahrerInnen des „Spontanzusammenschlusses Mobilität für Behinderte“ hatten mit Plakaten gegen ihre Diskriminierung demonstriert. Ein Demonstrant versuchte, sich an den Zug anzuketten und die Abfahrt zu verhindern. Wenn keine Behinderten nach Halle dürften, dann solle niemand dahin, meinte er. Ein Gleisarbeiter verhinderte das Vorhaben. Zwischen den beiden kam es zu einer Rangelei. Zwei herbeigerufene Beamte des Bundesgrenzschutzes zogen den Rollstuhlfahrer schließlich mit einem Fahrzeug vom Bahnsteig. Die Mitglieder des Spontanzusammenschlusses protestierten jedoch nicht nur wegen dieses einen Falles. Vielmehr geht es um die Umrüstung sogenannter Kombiwagen der Reichsbahn. Diese Mitte der achtziger Jahre in Dienst gestellten Waggons haben ein Behindertenabteil mit Stellplätzen für Rollstühle und Toilette. Für den Regionalverkehr werden sie zusätzlich mit Fahrradständern versehen. Der Sprecher von „Mobilität für Behinderte“, Michael Eggert, befürchtet nun, daß diese Abteile für Behinderte nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Außerdem würden einige der Wagen ausgemustert. Insgesamt seien 200 Waggons betroffen. Claudia Ruttmann von der Deutschen Bundesbahn Berlin wies darauf hin, die Spezialwagen würden nicht ausgemustert, sondern nur „im Rahmen der normalen Wartung“ mit Fahrradständern ausgerüstet. Diese würden die Stellfläche für Rollstühle aber nicht beeinflussen. Martin Hörnle

Foto: Rolf Zöllner