: Die Spartenwelle
■ US-Pay-Radios drängen auf den europäischen Markt
Ein 24-Stunden-Kanal für House-Music, HipHop bis zum Abwinken, Blues, Dixieland, Mariachi oder Kammermusik und nichts als Kammermusik: in einigen Städten Europas ist das inzwischen Realität geworden. Ob in Helsinki, im englischen Bradford, dem dänischen Aarhus oder im niederländischen Groningen, Kabelnetzbetreiber bieten ihren Abonnenten einen neuen Service an: spezialisierte Radiokanäle, die den ganzen Tag über nichts anderes bringen als einen einzigen Musikstil. Gleich zwei amerikanische Medienkonsortien buhlen hier um Kunden. „Digital Music Express“ (DMX) und „Music Choice Europe“ (MC Europe) versorgen die Kabelnetze mit 30 und mehr Programmen in digitaler Stereoqualität. Zu einem Preis, der sich mit rund 25 DM in etwa an dem einer CD orientiert, können verkabelte Hörer einen besonderen Receiver im örtlichen Radiogeschäft anmieten und haben damit gleichzeitig die monatliche Abonnementgebühr beglichen.
In einer Zeit, in der journalistisch gestaltete Musiksendungen immer mehr in die Gettos der Minderheitenprogramme abgedrängt werden, wo aus den privaten Dudelwellen ein Einheitsbrei aus gefälligem Pop-Rock quillt und Musiktitel in ihrer Länge gnadenlos den Bedürfnissen des Werbefunks angepaßt werden, in dieser Zeit haben also ausgerechnet kommerzielle Betreiber das Musikradio wiederentdeckt. „Keine Werbung, keine Wortunterbrechung“ ist in den USA schon längst ein gutes Verkaufsargument für Pay-Radio. Dort sind bereits 300.000 Kabelhaushalte Kunden bei DMX. Auch in Europa könnte sich dieses Motto als zugkräftig erweisen.
„Der Grundgedanke von DMX ist eine breite Ausdifferenzierung von Musikstilen. Wir bieten nicht einfach nur einen Kanal mit klassischer Musik, sondern drei. Das gleiche gilt für Rock: das ist nicht einfach Rock, sondern Alternative Rock, Heavy Metal, Album Rock, oder Hottest Hits“, schildert Lance Thomas von DMX das Angebot in den verschiedenen Programmen. Selbst wer ansonsten am liebsten Wagner hört, kann für einen Abend seine Party komplett mit passendem Easy-Listening-Jazz unterlegen, ohne sich um das Plattenauflegen kümmern zu müssen.
Dabei muß der passionierte Musikfan nicht auf Informationen verzichten: ein großes Display auf der Fernbedienung des Spezial- Receivers verrät Titel, Interpret und Name der CD inclusive Bestellnummer, gegebenenfalls auch die aktuelle Charts-Position.
In Deutschland allerdings sind „Music Choice Europe“ und „Digital Music Express“ noch nicht zu empfangen. Beide Konsortien stehen nach eigenen Angaben zwar in Verhandlungen mit der Telekom. Letztlich aber haben die Landesmedienanstalten über die Einspeisung in die Kabelnetze zu entscheiden, und die Gesetze schreiben in der Regel vor, daß in Deutschland produzierte Radioprogramme Vorrang haben.
Aber schon im Sommer könnte sich die Lage ändern. Mit dem Start des nächsten „Astra“-Satelliten „Astra 1D“ wollen sowohl DMX als auch MC Europe ihre Programmpakete direkt an Haushalte mit Satellitenschüssel verkaufen. „Für diese Empfänger wird das Angebot aber möglicherweise teurer“, meint Nick Hopewell-Smith. Er rechnet vor allem mit einem höheren Preis bei der Anmietung des technisch aufwendigeren Receivers. Eine einmalige Installationsgebühr (rund 150 DM) soll verhindern, daß die Abonnenten gleich im nächsten Monat wieder abspringen.
Nichtsdestoweniger bleibt das Angebot attraktiv. Die digitale Übertragung garantiert Klangqualität auf CD-Niveau. Neueste Titel können direkt vom Radio aufgenommen werden. Der Umweg über den CD-Verleih entfällt. Dabei soll jeder noch so spezielle Musikgeschmack befriedigt werden. Bis zum Jahresende 1994 wollen sowohl DMX als auch MC Europe die Zahl ihrer Formate auf jeweils über 80 ausdehnen. Geplant sind Richtungen wie „Christian Contemporary“, „Irish Folk“, „Polka“, „hebräische Hits“, „New Age“ und vieles mehr. Die Macher versprechen, daß sie nicht nur gängige Dutzendware spielen wollen, sondern auch Musik, die auf so spezialisierten wie renommierten Labels wie ECM oder Windham Hill erschienen ist.
Das ist um so erstaunlicher, als zumindest hinter MC Europe mit Warner Music und Sony Software zwei Riesen der Schallplattenbranche stehen. Über den Einstieg eines großen europäischen Musikkonzerns wird derzeit verhandelt. Offenbar sieht die Schallplattenindustrie Pay-Radio nicht als Konkurrenz, sondern eher als Ergänzung ihres angestammten Geschäfts an – möglicherweise als Belebung der Nachfrage nach CDs.
Auch DMX ist nicht von schlechten Eltern. Anteilseigner sind unter anderem die US-amerikanische TCI, die größte Kabelgesellschaft der Welt, und Viacom, zu der auch MTV gehört. Die vorläufige Endausbaustufe will MC Europe übrigens 1995 mit 128 Musikformaten erreichen. Daß es überhaupt soviel Musikstile gibt... Jürgen Bischoff
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