Qual des letzten Willens

Eigentümlich gegenläufige Trends für das Leben nach dem Tode: Schnellverwesung im Beton-Turbograb oder Plastination für die Ewigkeit  ■ Von Barbara Zoschke

Anatomen aller Zeiten hatten stets den Wunsch, ihre kunstvoll präparierten Demonstrationsobjekte über längere Zeiträume aufbewahren zu können. Letztlich blieben ihnen aber nur Regale voller Gläser, in denen die verblassenden Organe allmählich zerbröckelten. Keine Lösung war sauer genug, um kleine Embryonen, Gehirne oder Herzen für längere Zeiträume konservieren zu können. Auch der beste Arzt und Präparator mußte sich der Vergänglichkeit der Materie beugen.

Die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit, vor den Gewalten der Natur, gehört zum kollektiven Unbewußten in der technisierten Welt der Industrienationen. In vielerlei Hinsicht hat der menschliche Wille die Natur seinen Vorstellungen unterworfen, doch immer bleibt ein kleiner Rest nicht domestizierter Schaffenskraft der Natur. Spätestens wenn wir tot sind, hat sie das Sagen und macht mit unseren toten Leibern, was sie will. Deshalb verwesen wir. Oder werden zu Mumien.

Der Arzt Gunter von Hagens und der Bauingenieur Hans Suckfüll haben Wege aus diesem Dilemma gefunden. Mittels hochtechnisierter Methoden werden Leichen in der Heidelberger Uniklinik mit Epoxidharz ausgegossen oder verwesen auf deutschen Friedhöfen in Turbogeschwindigkeit. Mit der Erfindung eines Verfahrens zur künstlichen Mumifizierung, Plastination genannt, machte der Heidelberger Wissenschaftler Gunter von Hagens zuerst von sich reden. Als Student kam ihm in den Labors des Anatomischen Instituts der Universität Heidelberg die initiale Idee. Er wollte sämtliches Gewebewasser und Gewebefett einer Leiche durch Silikonkautschuk, Epoxidharz oder Polyester ersetzen. Damit würde er den normalerweise Wochen und Monate währenden Austrocknungsprozeß, wie er bei Trockenmumien zu beobachten ist, auf wenige Stunden verkürzen und allen Verwesungsbestrebungen des toten Körpers zuvorkommen. Die mit Plastik ausgegossene Leiche könnte ewig wie lebend aussehen und wäre ein strapazierfähiges, dauerhaftes und realitätsnahes Präparat, das von Studierenden beliebig oft angefaßt und herumgereicht werden könnte. Eine Plastik-Mumie eben.

Der wissenschaftliche Wille war stark, doch alle bekannten Druckverfahren zu schwach, um den Kunststoff bis in die kleinste Ader und Vene einer Leiche zu pressen. Also entwickelte von Hagens in jahrelanger Forschungsarbeit ein spezielles Druckverfahren: sein Traum wurde Plastik. Embryonen und zwölf Wochen alte Föten hat er seitdem plastiniert, ganze Torsi in Scheiben geschnitten und geharzt wieder zusammengesetzt, Armen und Beinen die Haut abgezogen und das rohe Fleisch für die Ewigkeit konserviert.

Aber die unbestreitbare Bedeutung für Lehre und Forschung allein ist es nicht, die von Hagens bewegt. Besondes faszinierend findet der Wissenschaftler an der Plastination, daß jedes menschliche Wesen über den Tod hinaus sein einzigartiges Gesicht behält. Und nicht nur das. „Ich habe nun wirklich schon eine stattliche Anzahl von Körpern seziert. Aber ich erkenne jeden einzelnen von ihnen an nur einem Teil seines Ganzen. Herz, Muskeln, Nieren, alles ist bei jedem verschieden“, erzählt er der Kingstoner Zeitung This Week.

Für seinen Sohn hat von Hagens ein ganz persönliches „Souvenir“ geschaffen. Er plastinierte die Planzenta, die ihn vor seiner Geburt ernährt hat. „Mein jüngstes Präparat habe ich aus einem sehr guten Freund hergestellt“, berichtet der Anatom, „und wenn ich einmal tot bin, möchte ich auch plastiniert werden.“

In Praxis-Kurier vom 3. Februar 1982 orakelte Dr. med. Lothar Reinbacher schon: „Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Mensch in seinem Testament verfügen kann, er wolle nach seinem Tod plastiniert werden.“ Bei Wissenschaftlern ist das Interesse an der Plastination so groß, daß sie sich alle zwei Jahre auf einem internationalen Kongreß zum Thema Plastination austauschen, das nächste Mal vom 24. bis 29. Juli 1994 in Graz. Der Rest der Menschheit bleibt allerdings zurückhaltend. 1994, vierzehn Jahre nach der Prognose von Reinbacher, haben bundesweit erst hundert Menschen die „Letztwillige Verfügung: Körperspende zur Plastination“ unterschrieben.

Weitaus erfolgreicher als Plastik ist Kollege Beton, wenn's ums Sterben geht. Auf deutschen Friedhöfen kann seit Ende letzten Jahres in Turbogeschwindigkeit verwest werden. Als der Bauingenieur Hans Suckfüll in eine Bestatterfamilie einheiratete, wurde ihm bewußt, was er bis dahin nicht wahrgenommen hatte: Die Friedhöfe waren überfüllt und das mit zum großen Teil verwahrlosten Gräbern. Nach durchschnittlich acht Jahren vernachlässigen die Hinterbliebenen die Grabpflege und geben in vielen Fällen die Grabstelle an die Stadt oder Kommune zurück – was Steurgelder kostet. Weil aber eben die Gemeinden „die ordnungsgemäße Zersetzung des Leichnams“ fordern, beträgt die Mindestruhefrist auf deutschen Friedhöfen zwischen 24 und 40 Jahren. Erst nach Ablauf dieser Zeit ist der Leichnam soweit verwest, daß die Grabstelle von den Gebeinen befreit und neu vermietet werden kann.

Hans Suckfüll entwickelte also das Grabsystem S. In ihm, so garantiert der Hersteller, verwesen die menschlichen Überreste, bis auf die Gebeine, binnen acht Jahren. „Um auch der Pietät gerecht zu werden, haben wir die kürzeste gesetzliche Ruhefrist von 24 Jahren halbiert und versprechen die Zersetzung innerhalb von zwölf Jahren“, berichtet der Vertreter des Systems aus Nordrhein-Westfalen, Bernhard Ufer. Damit wird die Rotationszeit in den Gräbern verkürzt und Platz geschaffen. Darüber hinaus ist die Grabkammer aus Stahlbeton B35 ist äußerst ökonomisch. Eine einmal angelegte High-Tech-Gruft kann beliebig oft wiederbelegt werden. Das lästige Grabschaufeln erfolgt ein für allemal. Die auch nach zwölf Jahren noch nicht verwesten Gebeine werden einfach in die dafür vorgesehene Gebeinemulde unterhalb der Grabsohle gelegt, und schon kann der nächste verwesen.

Die ökologischen Vorteile des Grabkammer-Systems S werden als einzigartig beschrieben. Immerhin wird das Regenwasser mittels Drainage in die Kanalisation geführt, so daß, anders als bei herkömmlichen Erdgräbern, keine Leichenpartikel mehr ins Grundwasser sickern, die die Böden verseuchen. „Wäre ein ganzer Friedhof mit Grabkammern unseres Systems ausgestattet, könnten sogar Obstbäume auf Friedhöfen stehen, von deren Früchte ohne Bedenken probiert werden dürfte“, bestätigt Bernhard Ufer.

Aus Sicht der Hinterbliebenen, also von oben, ist zudem kein Unterschied zu herkömmlichen Erdgräbern festzustellen, so daß die Gruft auch als pietätvoll zu bezeichnen ist. Daß zwölf Jahre der menschlichen Trauerfähigkeit im 20. Jahrhundert Genüge tun, wurde ja bereits erwähnt. Auch die von Suckfüll angeschriebenen Landeskirchenräte und Bischöflichen Ordinariate haben gegen eine dieserart dynamisierte Verwesung nichts einzuwenden.

Dafür empört sich die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. (AFD) in Kassel um so heftiger: „Die Vorstellung, daß unsere Friedhöfe riesengroße unterirdische doppelte Parkdecks aus Beton zur schnelleren Entsorgung der Leichen werden, ist unter kulturellen Gesichtspunkten unerträglich.“ Die vorgetragenen ökologischen Vorteile bezeichnet der Vorstand der AFD als Augenwischerei. „Auf herkömmlichen Friedhöfen werden die Leichengifte wenigstens durch den Humus verdünnt. Auf einem Friedhof mit Grabkammern konzentrieren sich Arsen und Blei in Betonkästen, die von einer Art Balkonbepflanzung bedeckt sind. Die ökologische Langzeitwirkung ist noch gar nicht abzuschätzen.“

Trotz dieser berechtigten Einwände steht die Firma BayWa schon mit 37 Städten in Verhandlung. Größter Abnehmer ist bisher die Stadt Augsburg: Sie hat 500 Grabkammern vom System S gekauft, das Stück für 2.000 Mark.