Serben haben keine einheitliche Politik

Das offizielle Rest-Jugoslawien hält sich bei Verurteilungen der Nato-Angriffe bei Goražde zurück / „Präsident“ Karadžić und General Mladić über Linie in Ostbosnien uneinig  ■ Aus Belgrad Karen Thürnau

Ähnlich wie nach dem Sarajevo- Ultimatum Anfang Februar sind Belgrads Reaktionen auf die Nato- Luftangriffe bei Goražde bisher recht zurückhaltend. Zwar verurteilten alle Parteien den Angriff „des Westens“, und die bosnischen Serben genießen auch weiterhin offen moralische und verdeckte militärische Hilfe. Trotzdem fällt auf, daß bisher weder das Außen- noch das Verteidigungsministerium die Angriffe kommentierte. Zumindest offiziell bleibt Belgrad dabei, daß es sich bei den militärischen Auseinandersetzungen in Ostbosnien um Probleme eines fremden Staates handelt.

Nach dieser Lesart geht es in Goražde vor allem darum, daß die bosnischen Serben seit der Gründung der kroatisch-muslimischen Föderation nicht mehr als abtrünnige Rebellen betrachtet werden können, sondern als Staatsvolk einer zukünftigen serbisch-bosnischen Republik. Serbenführer Radovan Karadžić geht es nun darum, für anstehende Grenzdiskussionen möglichst viel Verhandlungsmasse zu erobern – auch wenn der „Präsident“ immer wieder betont, er werde auf Goražde nicht verzichten.

Natürlich, die muslimischen Enklaven in Ostbosnien wären ein ständiger Unruheherd und Sarajevo „Stachel“ im Fleisch eines zukünftigen Staates der bosnischen Serben. Trotzdem scheint fraglich, ob Karadžić Goražde wirklich erobern will, müßte er doch in diesem Fall auch die Verantwortung für die rund 60.000 Flüchtlinge in der UN-Schutzzone übernehmen – eine undankbare Aufgabe, vor der sich auch die UN-Schutztruppen (Unprofor) drücken. Wahrscheinlicher ist, daß Karadžić vorführen will, was militärisch möglich ist: den Muslimen eine Lektion zu erteilen und bei der Gelegenheit zu demonstrieren, daß eine Friedenslösung in Bosnien nicht ohne ihn möglich ist.

Gleichzeitig muß der bosnische „Serbenpräsident“ einen Machtkampf gegen seinen militärischen Oberbefehlshaber Ratko Mladić führen, der eine völlig andere Strategie verfolgt. Mladić, der seinen Rückhalt vor allem in der Armeeführung der bosnischen Serben hat, scheint in Goražde aufs Ganze gehen zu wollen: Durch andauernden Druck auf die in der Stadt eingeschlossenen Muslime soll ein Ausgleich mit den Serben erzwungen werden – und möglicherweise auch, analog zur „Autonomen Provinz Westbosnien“ an der Grenze zu Kroatien, die Lossagung von Sarajevo.

Mladić' Vorwand für die jüngsten Angriffe lieferte die Tatsache, daß die UN-Schutzzone Goražde nie demilitarisiert worden war, wie es das Schutzzonen-Konzept der UN vorgesehen hatte. De facto produzierte die Munitionsfabrik von Goražde bis vor kurzem weiter, und auch UN-Vertreter bestätigten, daß es auch aus der Enklave heraus vereinzelt Angriffe gegen die serbischen Belagerungstruppen gegeben habe. Nach Mladić' Lesart war das Ziel der Verteidiger dabei, serbische Gegenaktionen zu provozieren, die dann anschließend einen Nato-Einsatz gegen die Belagerer erfordert hätten. Dies entspräche zwar durchaus der bisherigen Logik der bosnischen Seite, die lange auf einen westlichen Militäreinsatz gesetzt hatte. Der aber ist deklamatorisch: Die Nato-Angriffe vom Sonntag und Montag haben nichts an der Lage der Menschen in Goražde geändert.