Laßt den Welthandel ergrünen!

Bei der Uruguay-Runde des Gatt hat der Umweltschutz keine Rolle gespielt / Wird der Welthandel in Zukunft ökologischer?  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Indokistan ist heiß, unfruchtbar und dünn besiedelt. Doch seit Staatschef Balu Maru von einem westlichen Großkonzern zehntausend Radios geschenkt bekommen hat, möchten auch die Bewohner von Indokistan das 21. Jahrhundert nicht mehr auf dem Rücken ihrer mageren Kamele erleben. Balu Maru fragt seinen Wirtschaftsminister, wie das zu bewerkstelligen sei, und der erzählt ihm vom zweihundert Jahre alten Konzept der komparativen Kostenvorteile.

„Wenn wir etwas billiger herstellen können als unsere Nachbarn im dichtbesiedelten Tandistan, machen wir das und verkaufen es an die Tandistanis. Für das Geld, das wir von ihnen bekommen, können wir dann nicht nur Radios, sondern auch Autos in Westland erwerben.“

Der Premier bleibt skeptisch: Wir haben doch nichts herzustellen, wo sollen wir denn diese komparativen Vorteile hernehmen? Doch, erklärt der Wirtschaftsminister: Bei uns könnten die giftigen Bleihütten aus Tandistan auch ohne Filter arbeiten, und das wäre billiger.

Kostenvorteile und internationaler Handel über Grenzen müssen nicht immer so zynisch begründet sein wie in diesem Beispiel. Aber die ökologischen Konsequenzen des weltweiten Handels sind gravierend, und dieser Handel wächst rapide. Von 1950 bis 1990 hat er sich verelffacht auf rund 3,5 Billionen Dollar jährlich. Somalia hat Mitte der achtziger Jahre zehnmal soviel Schlachtvieh exportiert, wie Mitte der fünfziger Jahre. Allein der weltweite Schiffsverkehr verbraucht nach Berechnungen der Umweltinitiative Worldwatch 1991 genausoviel Energie wie die Türkei und Brasilien, und der Flugverkehr soviel wie 100 Millionen Philippinos zusammen.

Deshalb verlangen deutsche und internationale Umweltverbände, Dritte-Welt-Organisationen und inzwischen einige (westliche) Regierungen dringend ein Ergrünen des Welthandels.

In den bisherigen Gatt-Abkommen ist vom Umweltschutz kaum die Rede. In der Praxis werden Umweltgesetze häufig genug als nicht-tarifäre Handelshemmnisse angegriffen. So versuchte die europäische Autoindustrie die amerikanischen Standards für den durchschnittlichen Spritverbrauch von Neuwagen als Handelshemmnis zu kippen. Indonesien wurde von der EU beim Gatt angezeigt, weil es Tropenholz nicht mehr frisch geschlagen exportieren, sondern selbst verarbeiten wollte.

Im neuen, jetzt in Marrakesch zu unterzeichenden Abkommen, wird zwar behauptet, daß Welthandel und nachhaltige Entwicklung keine Gegensätze sein müssen, in den praktischen Verhandlungen hat die ökologische Frage aber keine Rolle gespielt.

Die Ökologen haben viele Argumente zusammengetragen, warum dies anders werden muß und ökologische Grenzen des Welthandels notwendig sind:

1) Eine Reihe internationaler Umweltabkommen stehen in deutlichem Gegensatz zur Handesdoktrin des Gatt. So ist es das Ziel des Washingtoner Artenschutzabkommens CITES und der Baseler Giftmüllkonvention, den freien Handel zu verhindern. Umweltabkommen müßten jetzt und in Zukunft Vorrang haben, verlangen die Ökologen. Andernfalls könnten unter Berufung auf das Gatt weiter Giftmüll in die Dritte Welt und vom Austerben bedrohte Tiere von dort in die Industrieländer geschafft werden.

2) Ökodumping dürfe durch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen nicht erlaubt werden. Umweltbewußte Staaten müssen die Möglichkeit erhalten, unter ökologisch katastrophalen Bedingungen produzierte Waren mit Strafzöllen zu belegen, genau wie dies heute für von Häftlingen produzierte Waren möglich ist. Freihandelsökonomen lehnen derartige Zölle als getarnten Protektionismus ab. Wenn die Bewohner von Indokistan sich für ihre Autos vergiften wollten, sei das ihre Sache.

3) Transportkosten müssen endlich auch die ökologischen Kosten enthalten, dann würde so mancher unsinnige Handel unterbleiben.

4) Ein grüner Technologietransfer in die Entwicklungsländer muß sichergestellt werden, sonst können die Entwicklungsländer in neuen Ökostandards nur Öko-Imperialismus zum Schutz der nördlichen Wirtschaft erkennen. Der ehemalige Gatt-Präsident Tran Van-Thinh hat dazu im Januar einen Öko-Zoll von 0,25 Prozent auf alle zollpflichtigen Waren vorgeschlagen. Die Hälfte der erzielten Milliarden sollte für die ökologische Entwicklung der ärmsten Länder ausgegeben werden, die andere Hälfte für den Technologietransfer der Industrieländer nach Süden und Osten.

5) Vor allem aber müsse ein grünes Arbeitsprogramm der künftigen Welthandelsorganisation (WTO) beschlossen werden, mit kompeteten Ansprechpartnern und einem Gremium außerhalb, daß unabhängig von der Welthandelsorganisation Grundsatzfragen angehen kann. Vor der weiteren Liberalisierung des Welthandels könnten beispielsweise Umweltverträglichkeitsprüfungen stehen. Vorbild ist die IPCC-Kommission, die für die Klimakonvention den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Fragen der Klimaveränderung erarbeitet.

Die Freihandelsökonomen, die seit 1947 im Gatt durchgesetzt haben, daß Zölle und andere Handelshemmnisse immer weiter vermindert wurden, wehren solche weitreichenden Eingriffe in den Welthandel ab.

Die erste Abwehrstrategie war, mögliche Konflikte zwischen Umwelt und Welthandel gar nicht zu thematisieren. Das schon 1971 gegründete Gatt-Komitee zu Umwelt und Entwicklung trat 1991 zum ersten Mal zusammen. In der Uruguay-Runde, die von 1986 bis Ende 1993 eine Neufassung des Gatt aushandelte, spielte die ökologische Frage keine Rolle.

Die zweite Strategie war (und ist), einfach zu behaupten, daß mehr internationaler Handel sich positiv für die Umwelt auswirken werde. Zum einen würde durch internationalen Handel nicht nur der Transfer giftiger Fabriken, sondern auch neuer umweltfreundlicherer Technologien vom Norden in den Süden und Osten beschleunigt. Ein entsprechendes Dokument präsentierte das Gatt-Sekretariat 1992, auch wenn es heute heißt, die Stellungnahme sei nicht autorisiert gewesen.

Weiter wird argumentiert, Welthandel schaffe Wohlstand. Oberhalb eines durchschnittlichen Jahreseinkommens von 5.000 Dollar werde dann die Umwelt wieder wichtiger und die Luft in den Großststädten wieder besser, rechneten die amerikanischen Ökonomen Alan Krüger und Gene Grossman vor.

Die dritte Strategie ist, bestimmte umweltpolitische Instrumente als Handelshemmnisse zu denunzieren und als solche zu verbieten. Umweltgesetze über die maximale Konzentration von Pestiziden in Babynahrung, die sowohl für importierte als auch für heimische Waren gelten, sind nach dem Gatt und sollen auch in der künftigen Welthandelsordnung erlaubt bleiben. Ein Importverbot für Tropenholz aus nicht nachhaltiger Produktion gilt den Gatt- Wächtern hingegen schnell als Handelshemmnis. Das Gatt- Schiedsgericht hätte noch nie ein Umweltgesetz, daß von einem Handelspartner als diskriminierend angezeigt wurde, wegen seines ökologischen Wertes aufrechterhalten, schimpft der internationale Umweltjurist Zen Makuch von der „Foundation of International Environmental Law and Development“ (FIELD) in London.

Die vierte und letzte Strategie ist inzwischen, das Thema in einem eigenen Komitee der kommenden Welthandelsorganisation WTO zu behandeln. Skeptiker haken das Komitee, über das in Marrakesch beschlossen werden soll, unter der Rubrik „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründ' ich einen Arbeitskreis“ abgebucht.

Eine optimistischere Lesart dieser Politik vertritt Makuch. In den USA und Europa sei das Bewußtsein für die ökologischen Probleme des Welthandels und „der Druck auf die Regierungen deutlich gewachsen“. Seit Dezember habe man in den Verhandlungen zur künftigen Umweltpolitik der Welthandelsorganisation „deutliche Fortschritte erzielt“. Tatsächlich hat selbst der US-Handelsbeauftragte Mickey Kantor „konkrete Arbeit“ angekündigt.

Das Komitee soll nun das Verhältnis von Handelsregelungen und Umweltpolitik untersuchen und Vorschläge für einen nachhaltigeren Welthandel machen. „Die haben eine Menge gelernt“, erkennt auch Michael Windfuhr von der deutschen Nord-Süd-Initiative Germanwatch an. Wenn das Gremium mit entsprechenden Vorschlagsrechten ausgestattet sei, könne das Thema Handel und Umwelt nicht mehr vom Tisch rutschen.

Den Lackmustest für die Ökologisierung des Gatt sehen Makuch und Windfuhr am gleichen Punkt. „Als erstes müssen sich die Gatt-Unterzeichnerstaaten mal entscheiden, ob internationale Umweltabkommen oder das Gatt Priorität haben sollen.“ Windfuhrs entscheidende Frage: „Wie geht die neue Welthandelsorganisation damit um, wenn sich zwanzig Staaten auf ökologischere Produktionsstandards für Rindfleisch einigen? Daran kann man den ökologischen Willen ermessen.“