: „Eiserne Faust mit einem seidenen Handschuh“
■ Der Rücktritt des Hardliners Malek könnte den Dialog mit den Islamisten begünstigen, doch die Auswirkungen des IWF-Abkommens werden viele Algerier bald hart treffen
Mit dem Rücktritt von Ministerpräsident Redha Malek ist ein Regime auseinandergebrochen, das von den Bewohnern der algerischen Hauptstadt gerne als „zweiköpfig“ bezeichnet wurde. Die beiden „Köpfe“ strebten vor allem im Umgang mit den Islamisten in unterschiedliche Richtungen. Malek verlangte eine Verschärfung des Krieges gegen die Islamische Heilsfront (FIS), Präsident Zeroual, als dessen Gegenspieler Malek galt, befürwortet dagegen eine Doppelstrategie aus Krieg und Verhandlungen; er hat jetzt erst einmal freie Hand für die Verfolgung seiner Strategie. Mit Mukdad Sifi hat er einen seiner Gefolgsleute mit der Bildung des neuen Kabinetts beauftragt.
Doch Malek trat auch just zu dem Zeitpunkt zurück, wo er einen entscheidenden politischen Erfolg zu verzeichnen hatte: den Abschluß eines Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds, für das er sich stark gemacht hatte. Fast zeitgleich mit Maleks Rücktritt hat der IWF Algerien gestern eine neue Kreditzusage über eine Milliarde Dollar gemacht, die Algerien fürs erste vor der Zahlungsunfähigkeit rettet.
In Maleks Rücktritt manifestieren sich zwei Konflikte: einerseits die Uneinigkeit des Regimes im Umgang mit den Islamisten, andererseits die absehbaren wirtschaftlichen Folgen einer Umsetzung des IWF-Abkommens, die den Algeriern womöglich bald eine „zweite Front“ in ihrem Bürgerkrieg bescheren könnte. Zu den Kämpfen zwischen der FIS-Guerilla und Armee könnte in Kürze die Niederschlagung sogenannter „Brotkrawalle“ kommen, wie sie Algerien auch früher schon erlebt hat.
Nicht erst seit ihn Algeriens eigentliche Machthaber, die Generäle, im Januar in das höchste Staatsamt hievten, lancierte Zeroual den sogenannten „nationalen Dialog“. Bereits vor seinem Amtsantritt, damals Verteidigungsminister, hatte er sich mit den Führern der FIS, Abbas Madani und Ali Belhadsch, im Gefängnis von Blida getroffen. Den in diesen Gesprächen ausgehandelten Stufenplan zur Beendigung des Bürgerkrieges erklärt ein Journalist in Algier so: Mehrere hundert FIS-Mitglieder sollten auf freien Fuß gesetzt werden. Die Haft der beiden „Sheikhs“ der FIS, Belhadsch und Madani, sollte in eine Art Hausarrest umgewandelt werden. In einer zweiten Stufe sollte die FIS legalisiert werden – möglicherweise unter neuem Namen. Die FIS-Führung sollte ihre bewaffneten Kräfte auflösen und ihre Anhänger aufrufen, sich ab sofort nurmehr legaler politischer Mittel zu bedienen. Auf einer anschließenden „Konferenz für den Nationalen Dialog“ sollten sich dann alle Parteien des Landes auf eine Übergangslösung und einen neuen Wahltermin einigen. Doch aus alledem wurde bislang nichts.
Die Lebensmittelpreise schnellen in die Höhe
Bis Ende Februar wurden lediglich zwei FIS-Führer, Ali Jeddi und Abdelkader Boukhamkham, freigelassen. Regierung und FIS überschütteten sich gegenseitig mit Vorwürfen, Zusagen gebrochen zu haben. Die freigelassenen FIS- Leute hätten sofort zur Einstellung der Kämpfe aufrufen müssen, sagen Mitglieder des Regimes. Jeddi und Boukhamkham halten dagegen, das Regime verschärfe die Verfolgung ihrer Anhänger. Allein am letzten Wochenende wurden wieder 12 mutmaßliche Islamisten erschossen, drei wurden zum Tode verurteilt und 53 zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen.
Mit ihrer Skepsis hinsichtlich des Willens des Regimes zur Deeskalation stehen die FIS-Sprecher nicht allein da: „Die Taten des Regimes stehen im Widerspruch zu seinen Worten“, meint beispielsweise ein Mitglied der früheren Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) in Algier. „Der Präsident spricht vom Dialog und setzt die Repression fort.“ Ein Mitglied der Front der sozialistischen Kräfte (FFS), die vor allem unter Algeriens Berbern einflußreich ist, beschreibt das Regime als „eiserne Faust mit einem seidenen Handschuh“. Unter diesen Umständen würden sie sich auf keinen Fall am „Dialog“ beteiligen, ließen auch andere Führer legaler Oppositionsparteien vernehmen. Seit März hatte Zeroual mehrere Treffen mit den Führern der legalen Parteien, um seinen Spielraum auszuloten; dabei war er offenbar zu dem Schluß gekommen, daß der Dialog so lange nicht zu führen sei, wie Politiker wie Premier Malek und Innenminister Saadi das Vorhaben weiter attackierten. Die beiden Hardliner haben ihre Strategie in den letzten Wochen zur Genüge vorgeführt. Trotz zahlreicher schwerer Kämpfe und vieler Toter auch in den Reihen der Armee hat sich die „Sicherheitslage“ in Algerien dabei nicht verbessert.
Die meisten Algerier waren geschockt über die Ankündigung der Hardliner, Reservisten einzuziehen und bewaffnete „Volkseinheiten“ gegen die Islamisten zu bilden. Für sie hieß das nur, daß noch mehr Öl ins Feuer gegossen wird. In der Armee und unter den Generälen zeichnet sich offenbar mittlerweile eine Mehrheit für den Dialog mit den Islamisten ab.
Malek hat mit seinem Rücktritt nicht nur auf die veränderte politische Stimmung reagiert. Mit der Umsetzung des von ihm befürworteten IWF-Abkommens droht den Algeriern eine Verschlechterung ihrer ohnehin verzweifelten wirtschaftlichen Lage. Bereits letzte Woche wurde der Dinar zweimal abgewertet, insgesamt um 40 Prozent. Die Lebensmittelpreise schnellen weiter in die Höhe. Weitere Privatisierungsmaßnahmen, wie der IWF sie verlangt, und eine Rationalisierung der Verwaltung werden weitere Arbeitsplätze kosten. Zeroual rechnet damit, daß der „nationale Dialog“, so er denn weiter geführt werden kann, für Algeriens Bevölkerung schmerzlindernd wirken wird. Malek setzt auf eine gegenteilige Entwicklung: Mit der Niederschlagung der kommenden Proteste gegen Teuerung und Armut sollen sich seine Nachfolger die Hände schmutzig machen. Er ist auf seinen Ruf bedacht, wartet womöglich auf ein baldiges Comeback der Dialoggegner.
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