Verhängnisvoller Fehler im Kreißsaal

■ Chefgynäkologe muß sich vor Gericht verantworten /Patientin seit dreit Jahren im Koma

Die gesunden Kinder, die er bisher auf die Welt gebracht hat, könnten eine Kleinstadt bevölkern: Doch seit gestern muß sich der gynäkologische Chefarzt des Heidberg-Krankenhauses wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Dem erfahrenen Geburtshelfer wird vorgeworfen, bei einer Entbindung im Mai 1991 einen Fehler begangen zu haben.

Die 35jährige Patientin hatte äußerst heftige und schmerzhafte Wehen gehabt, sodaß sich der Arzt gegen 2 Uhr nachts zu einer lokalen Betäubung entschloß. Dafür wird ein Narkosemittel in die Nähe des Rückenmarks gespritzt. Die Frau erlitt kurz darauf einen Atemstillstand und liegt bis heute im Koma. Das Kind kam nach einem Notkaiserschnitt behindert zur Welt.

Der 53jährige Geburtshelfer machte am ersten Verhandlungstag einen niedergeschlagenen Eindruck. Er hat sich beim Ehemann der Patientin schriftlich entschuldigt. „Ich habe niemals bestritten, zu meiner Schuld stehen zu wollen“, sicherte er dem Mann zu. Seine Haftpflichtversicherung ist unterdessen mit einer sechsstelligen Summe für die vorläufige Versorgung von Mutter und Kind eingesprungen. Die Patientin muß zuhause rund um die Uhr versorgt werden. Sie kann Stimmen und Bewegungen wahrnehmen, aber kaum Reaktionen zeigen.

„Wir standen alle unter Schock“, so der Mediziner in seiner Vernehmung. In der betreffenden Nacht habe er versucht, „einen kühlen Kopf zu behalten“. Offenbar erkannte er die herannahenden Komplikationen zu spät und ließ dann wertvolle Zeit verstreichen, bis er adäquate Notfallmaßnahmen ergriff. Erst als die Patientin über Atembeschwerden klagte, merkte er, daß die rückenmarksnahe Spritze nicht nur das Becken zu betäuben, sondern auch das Atemzentrum lahmzulegen begann. Wenig später folgte die Bewußtseinseintrübung der Schwangeren.

Nach seiner Darstellung hat der Geburtshelfer vergeblich versucht, einen diensthabenden Narkosefacharzt in den Kreißsaal zu mobilisieren, um die Patientin künstlich beatmen zu lassen. Schließlich nahm er die Herz-Druck-Massage selbst vor. Für die 35jährige und den Säugling war kostbare Zeit verstrichen. Über 200 solcher Peridural-Anästhesien, die in Hamburg aus Sparsamkeitsgründen nicht von den Narkosespezialisten ausgeführt werden, lagen zu dem Zeitpunkt hinter dem Chefarzt. Auf die Fragen der Richterin, ob er in Panik geraten sei und warum er nicht schneller gehandelt habe, wußte der Mediziner nichts zu antworten. Stumm schüttelte er zum Abschluß seiner Aussage den Kopf. Das Urteil wird kommenden Mittwoch verkündet. Paula Roosen