Müllers Klassenstandpunkt auf dem Prüfstand

■ Der PDS-Kandidat und Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung stellte sich den „bewaffneten Organen der DDR“ in seinem Wahlkreis

Zu einem „Forum ehemaliger Angehöriger der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR“ hatte die PDS am Dienstag abend eingeladen. Mehrere hundert waren ins Bildungszentrum gekommen. Der Altersdurchschnitt lag bei sechzig Jahren, Anzüge der Marke „Präsent“ und großgeblümte Kleider dominierten.

Manfred Müller, der smarte Gewerkschaftsmanager aus dem Westen, mühte sich redlich, einen Draht zu dem Altenklub zu finden, der ihn im Wahlkreis Hohenschönhausen/Pankow/Weißensee als Direktkandidaten in den Bundestag wählen soll. „Ich weiß, wovon Ihr redet“, versicherte er, schließlich habe man auch ihm nach seinem Entschluß, für die PDS zu kandidieren, den Arbeitsplatz streitig machen wollen.

Doch die Fettnäpfchen blieben nicht aus. Müllers Beteuerung, als DDR-Bürger wäre er „mit Sicherheit mindestens FDGB-Funktionär geworden“, wurde sogleich als Attacke auf den Staat verstanden, den sie noch immer als den ihren ansehen. In der DDR habe es – dem Gerede von „der angeblichen ständigen Verletzung von Menschenrechten“ zum Trotz – jeder zu etwas bringen können, der sich „nicht dumm angestellt hat“.

Das war offenbar das Problem der Bürgerrechtler, auf die das Publikum überhaupt nicht gut zu sprechen war – die gehören zu den „Herrschenden“ im „großbürgerlichen Rechtsstaat“. Richtig in Stimmung gerieten die Senioren aber erst, als eine Veranstaltung des Bezirksamts mit Joachim Gauck angekündigt wurde: „Wir sollten ihm einen entsprechenden Empfang bereiten.“

Vergangenheitsbewältigung war angesagt, doch zur Debatte standen nur die letzten vier Jahre. Auf den ersten Parteitagen nach der Vereinigung, die nach alter Sitte durchnumeriert wurden, sei die „demagogische Stasi-Hetze nicht richtig eingeschätzt und verurteilt worden“, so die Selbstkritik. Seit Rolf Kutzmutz' Potsdamer Kandidatur ist die Kampfeslust erwacht.

Zunächst versuchte Müller noch, sich auf das Problem der Renten zu beschränken: Dagegen, daß „das politische Strafrecht Eingang gefunden hat ins Arbeitsrecht“, müsse sich eine Gewerkschaft zur Wehr setzen, „weil es morgen auch einen anderen, größeren Personenkreis treffen kann“. Doch die „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V.“ (ISOR) gab sich damit nicht zufrieden. Die Freunde des vierfachen Genitivs, zu denen fast alle Redner gehörten, behandelten den parteilosen Kandidaten aus dem Westen zwar wohlwollend. Daß er seine erste Begegnung mit ihrer Berufsgruppe, damals am Bahnhof Friedrichstraße, nicht in bester Erinnerung hat, galt als tolerabel – schließlich war Kalter Krieg, „da mußte Ordnung sein“. Doch als Müller abschließend Verständnis dafür äußerte, daß die PDS sich „taktisch verhält“ und sich nicht bedingungslos zur ISOR-Klientel bekennt – „um potentielle Bündnispartner zu gewinnen“ und „an die Mehrheit der Wähler heranzukommen“ –, ging ihnen schon zu weit. Daß sich die PDS ihrer Vergangenheit „nicht aus taktischen Gründen“ stellen müsse, sagte Müller erst nach der Veranstaltung – zu den Journalisten. Ralph Bollmann