piwik no script img

Wenig Zukunft für Vertragsarbeiter

Hunderten Ex-Vertragsarbeitern aus Vietnam droht ab nächster Woche die Ausweisung / Abschiebung schon nach Bagatelldelikten / Unklar ist, ob Vietnam seine Bürger wieder aufnimmt  ■ Von Judith Gampl

Am kommenden Sonntag läuft für die früheren DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam, Angola und Mosambik die Bewerbungsfrist für eine Aufenthaltsbefugnis in der Bundesrepublik Deutschland ab. Wer bis zu diesem Termin eine Arbeitsstelle nachweisen kann, einen Ausbildungsplatz hat, über eine feste Bleibe verfügt, einen gestellten Asylantrag zurückzieht und nicht straffällig wurde, darf bleiben, hatten die Innenminister der Bundesländer Mitte 1993 beschlossen. Denjenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, droht die Ausweisung ebenso wie denen, die gar nicht erst einen Antrag auf Bleiberecht gestellt haben.

Von den 60.000 Vietnamesen, die vor der Wende in der DDR als Vertragsarbeiter beschäftigt waren, leben heute noch schätzungsweise 12.000 in der BRD, davon rund 3.500 in Berlin. Nach Angaben der Ausländerbehörde sind bisher Anträge auf Aufenthaltsbefugnis von mehr als 3.000 Vietnamesen bearbeitet worden. 1.466 erhielten einen positiven Bescheid, dürfen also bleiben, wie auch die etwa 480 Vietnamesen, deren Werkverträge noch nicht abgelaufen sind.

Problematisch wird es bei den rund 1.000 Ex-Vertragsarbeitern, die den Status „ausländerbehördliche Erfassung“ haben. Das sind Fälle, in denen noch kein Aufenthaltsbefugnis erteilt werden konnte, die aber noch überprüft werden. „Bei dieser Gruppe wird die Zahl der Ausweisungen groß sein“, so Ilsedore Wierichs, Leiterin der Abteilung Grundsatzfragen bei der Ausländerbehörde.

Unerbittlich verfährt die Ausländerbehörde bei Vietnamesen, die straffällig geworden sind. Sie werden der Ausweisung kaum entgehen können. Einzige Ausnahme: Bei Vertragsarbeitern, die bis zum Juni 1991 einmal straffällig geworden sind und die einen Ehepartner haben, der hierbleiben darf. Im allgemeinen reichen aber schon Bagatelldelikte mit einem Streitwert von unter tausend Mark zur Ablehnung des Antrags auf Aufenthaltsbefugnis aus. „In vielen Fällen droht die Ausweisung, obwohl das Verfahren wegen Unerheblichkeit eingestellt wurde“, empört sich die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU). Ihrer Meinung nach sei die Straffälligkeitsregelung viel zu kleinlich, die Breite der Härtefälle werde nicht berücksichtigt.

Sie kenne zum Beispiel den Fall einer Frau, die gerade Zwillinge bekommen habe – eine Frühgeburt. Diese Frau sei zweimal beim Zigarettenhandel erwischt worden und soll nun ausgewiesen werden. Ihre Kinder könne sie jedoch nicht mitnehmen, da sie intensive ärztliche Betreuung bräuchten.

Zum Thema Bagatelldelikte stehe noch ein Gespräch mit der Innenverwaltung an, so John, dies werde aber immer wieder verschoben. Sie will erreichen, daß zumindest bei Bagatelldelikten aus den Jahren 1990 und 1991 weniger streng verfahren wird, denn „das Unrechtsbewußtsein der Vietnamesen, die in dieser Umbruchphase gekommen sind, war sicherlich nicht vorhanden“. Außerdem erhofft sie sich eine Berücksichtigung von alleinstehenden Frauen mit Kindern und Schwangeren, die einfach keine Möglichkeit hatten, Arbeit zu finden.

Auch die Marzahner Beratungsstelle für Vietnamesen ist mit diesem Anliegen bereits an die Innenverwaltung herangetreten. 350 Fälle habe man dort gesammelt, bei denen wegen Bagatelldelikten keine Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde. „Das sind Leute, die wegen ein paar Stangen Zigaretten oder wegen einmaligem Fahren ohne Fahrerlaubnis ausgewiesen werden sollen“, so Margit Müller von der Beratungsstelle. Einige der Betroffenen lebten schon seit vielen Jahren in Berlin, hätten Kinder, die hier zur Schule gehen.

Doch bisher sei von der Innenverwaltung noch keine Antwort gekommen. Mit Massenabschiebungen ist ihrer Ansicht nach dennoch nicht zu rechnen. Sie geht davon aus, „daß erst mal gar nichts passiert“, denn bisher sei noch völlig ungeklärt, wohin ausgewiesene Vietnamesen gehen sollen. Vietnam sperrt sich gegen eine schnelle Rückführung der Vertragsarbeiter. Eine Rücknahmeübereinkunft mit Vietnam ist noch nicht unterschrieben. Es habe schon einen Fall gegeben, so Margit Müller, in dem aus Berlin ausgewiesene Vietnamesen nicht ins Land gelassen wurden. „Sie sind gerade mal bis Moskau gekommen und dann wieder hierher zurück.“ Nach wie vor entscheidet allein Vietnam, wer zurückdarf und wer nicht.

Viele ehemalige Vertragsarbeiter würden derzeit darüber nachdenken, Asyl zu beantragen, berichtet Margit Müller, „doch das ist beinahe aussichtslos, denn die Anerkennungsquote liegt bei 0,5 Prozent“. Angolaner und Mosambikaner seien im übrigen von der jetzt auslaufenden Bleiberechtsregelung nicht so stark betroffen, erklärt Margit Müller, denn „diese haben fast alle Arbeit“. Ganz abgesehen davon sind Abschiebungen nach Angola oder Mosambik wegen der Bürgerkriege mehr als fraglich und werden im Einzelfall geprüft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen