Das Schweigen der Verlierer

Den frechen Europapokal-Underdogs aus Karlsruhe bekam die erste Favoritenrolle schlecht – Salzburg mogelte sich ins Finale  ■ Aus Karlsruhe Matthias Kittmann

Schräg hinter dem Karlsruher Wildparkstadion liegt das Kreiswehrersatzamt. Ein paar Meter weiter vermitteln 23.000 Zuschauer und 13 Spieler den Eindruck, gerade die Einberufung zum militärischen Zwangsdienst bekommen zu haben: Jens Nowotny steht einsam irgendwo auf dem Rasen und starrt gedankenverloren in den Regenhimmel. Torhüter Oliver Kahn hockt in seinem Strafraum, den Blick auf einen imginären Punkt weit unter der Grasnarbe gerichtet. Edgar Schmitt ist am Mittelkreis zusammengesunken, den Kopf in die Hände vergraben. Woanders ein wortloses In-den-Arm-Nehmen der Lebensgefährtin. Szenen des Abschieds. Abschied aus dem Europapokal. Minutenlang 23.000faches Schweigen. So wortreich die euphorischen Karlsruher ihren bisherigen Husarenritt durch den UEFA-Pokalwettbewerb gefeiert hatten, so sprachlos waren sie nach dem 1:1 im Rückspiel gegen Casino Salzburg, was, addiert mit dem 0:0 vor 14 Tagen, das Ende des Traums von einem Finale gegen Inter Mailand bedeutete.

Die tiefe Depression überdeckte für einen Moment die lächerliche Tatsache, daß eine spielerisch so außerordentlich bescheidene Mannschaft wie Salzburg auch noch das Halbfinale überstanden hatte. Zwar glücklich, aber an diesem Abend noch nicht einmal unverdient. Vielleicht war es das, was den KSC-Spielern besonders zu schaffen machte. Mit den allereinfachsten, ja fast primitiven Fußballmitteln war es den Österreichern gelungen, den Angriffsschwung der Badener zu lähmen. Kapitän Wolfgang Rolff brach als erster das Schweigen. Zur tiefgehenden Analyse noch unfähig: „Das Spiel wurde in der ersten Halbzeit entschieden. Wir konnten nach dem 0:1 einfach nicht den gewohnten Druck entwickeln“, und das habe die ansonsten so naßforsch aufspielenden „auf seltsame Weise für die zweite Halbzeit blockiert.“

Edgar „Euro-Eddy“ Schmitt formulierte später präziser: „Erstmals im Europapokal beschlich uns nach dem Rückstand das Gefühl, vielleicht schaffen wir das nicht mehr.“ Noch nie im Europapokal zu Hause zurückgelegen, erschütterte auch die Art und Weise, wie das 0:1 in der zwölften Minute gefallen ist, den KSC in seinen Grundfesten. War doch gerade die sattelfeste Abwehr bislang der Garant für die beeindruckenden Erfolge des Europapokal-Greenhorns gewesen. Aber nein: Feiersingers Tor war durch anfängerhaftes Defensivverhalten ermöglicht worden: Schütterle hatte sich abschütteln lassen, war seinem Gegner nach einer Zufallsflanke von Jurcevic nicht in den 16-Meter- Raum gefolgt. Der Libero schätzte die Situation ebenfalls falsch ein. Zudem muß Burkhard Reich sein Jobprofil mißverstanden haben – in den ersten 45 Minuten war er ein ständiger Unsicherheitsfaktor, halt in der eigenen Abwehr, und lähmte damit die Angriffsbemühungen erheblich.

Salzburg bemühte sich erst gar nicht, mitzuspielen. War auch nicht nötig. Ist doch viel bequemer, den Ball bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Aus zu befördern. Das verschafft Felix Austria ein Päuschen und unterbricht den KSC- Spielfluß. Obwohl es die Mannschaft in der zweiten Hälfte über die Flügel versuchte, sprangen nur wenig Torchancen heraus. Zu gefährlichen Schüssen wie zu Beginn wollte sich kaum einer, der von Trainer Winnie auf „positive Arroganz“ eingestimmten Balltreter entschließen. Die Spieler ackerten mit Bleiweste und Airbag vor dem Bauch. Das 0:0 im Hinspiel war längst nicht so ideal, wie viele geglaubt hatten. „Uns fehlte heute der unbedingte Zwang, ein Tor in der regulären Spielzeit schießen zu müssen“, urteilte Oliver Kahn, der Noch-nicht-Bayer, der beim 0:1 nicht ganz glücklich ausschaute, „das hat uns unbewußt unsere Dynamik genommen.“

Genau damit hatte Otto Baric, der wegen lamaaähnlichen Spuckens auf die Tribüne komplimentierte Trainer der rot-weiß-roten Fußball-Herrlichkeit, gerechnet: „Wir mußten das Spiel nicht machen.“ Was dem Karlsruher Sportclub zudem zum Verhängnis wurde: Erstmals als klarer Favorit in einen Europapokalspiel gegangen, hatte er sein Selbstvertrauen nicht aus eigener Stärke, sondern aus der Schwäche des Gegners rekrutiert. Das Finale schon im Kopf, „haben wir zuviel gewollt und alles verloren“, glaubt Kahn. Trainer Winnie Schäfer schien die Mannschaft schon vorher nervöser als sonst, „vielen ist erst so richtig bewußt geworden, wie weit wir gekommen sind“. Und immer wieder dieses 0:1. „Ist doch klar, der Gegner denkt, gleich ist es vorbei, während meine Spieler stöhnen: nur noch 15, zehn, fünf Minuten.“

Fußball-Weisheiten von Herbergscher Schlichtheit, doch die Karlsruher waren an diesem Abend nicht in der Lage, sich über sie hinwegzusetzen. „Wenn man das Halbfinale erreicht hat, darf man eigentlich nicht enttäuscht sein“, versuchte sich Edgar Schmitt in Gegenwartsbewältigung. Umsonst. „Ich bin's trotzdem.“

Karlsruher SC: Kahn - Nowotny - Bilic, Schuster - Schütterle (81. Klinge), Reich (46. Krieg), Rolff, Schmidt, Bonan - Schmitt, Kirjakow

Casino Salzburg: Konrad - Lainer - Feiersinger, Fürstaller - Winklhofer, Stadler (80. Muzek), Marquinho (68. Amerhauser), Hütter, Aigner - Jurcevic, Pfeifenberger

Zuschauer: 23.000; Tore: 0:1 Stadler (12.), 1:1 Krieg (54.)