Der geliebte Sparkommissar

Von einem, der auszog, die Schuldenlawine zu stoppen, und trotzdem beliebt blieb  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

Der Kämmerer wirkt, von den Jeans aufwärts bis zum Sweatshirt, leicht zerknautscht. Verdutzt stoppt er an der Schwelle zu seinem Büro im zweiten Stock neben der Paulskirche im Frankfurter Römer. Da ist nämlich schon das Fernsehen. Der studierte Betriebsingenieur und gelernte Elektroniker Tom Koenigs, seit Sommer 1993 bundesweit als erster Grüner für eine Stadtkämmerei zuständig, fährt sich durch das verstrubbelte graue Haar: „Hab' ich mich heute schon gekämmt? Nein, muß ich wohl noch.“ Dann läßt er sich artig filmen, in der Hand eine von 1.334.592 Veba-Aktien. Dieses Einzelexemplar hat er selbst erworben. Die anderen gehörten bis dahin zum Anlagevermögen der Stadt und gingen Ende März für 648,7 Millionen Mark an die Deutsche Bank. Der Erlös soll helfen, die Schuldenlast der reichsten, aber auch am höchsten verschuldeten deutschen Großstadt nicht weiter anwachsen zu lassen. Die dazugehörige Presseerklärung liest sich wie eine Mitteilung aus dem Börsenblatt, von DAX (Deutscher Aktienindex), „gekoppeltem Gebot“, „finanztechnischer Innovation“ ist da die Rede.

Es sei aber falsch, sagt Pressesprecher Rainer Vollreiter, daß „Frankfurt schon das Tafelsilber verkauft“. Dieser Vergleich stimme erst dann, wenn die Stadt genötigt sei, „auch den Römer und vielleicht noch die Alte Oper zu verscherbeln“. So arm dran ist die Kommune nun aber wirklich noch nicht.

„Ein Porträt von mir“, stapelt der Dezernent wenig später nicht etwa tief, sondern meint das auch so, „wie langweilig. Das machen doch alle.“ In Zeiten der leeren Kassen haben Sparbrötchen aber Konjunktur. Der medienwirksame Oberbürgermeister Gerhard Grandke gilt als marktorientierter Hoffnungsträger der Republik. Er streicht im benachbarten Offenbach, machte Theater und Schwimmbäder dicht. Das, merkten seine Kollegen im Römer leicht bissig an, sei ihm vielleicht gar nicht so schwergefallen, denn „wer ins Theater oder schwimmen gehen will, kann ja immer noch in ein paar Minuten nach Frankfurt fahren“. Koenigs: „Wir bezahlen Kultur und Freizeit, und der hat die Gewerbegebiete.“ Dabei ist Koenigs das endlose Debattieren um die Zankäpfel Kulturpolitik und Badeanstalten in der eigenen Stadt sichtlich leid. Ihn interessieren derzeit an erster Stelle drängendere Probleme: „Wir brauchen einfach mehr Wohnungen.“ Seine Grundphilosophie klingt einfach. Er wiederholt sie ständig und gerät dabei ins Dozieren: „Erstens, man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Zweitens keine Nettoneuverschuldung, Kredite eintreiben und Bürgschaften abbauen.“

Und er kann verhalten leidenschaftlich werden, wenn er für die Privatisierung wirbt, etwa in der Abfallwirtschaft, und die Vorteile einer Holding-Gesellschaft als Mischform erklärt. Die „hoheitliche Müllabfuhr“ zahle keine Steuern, Verluste werden ausgeglichen. Das sei „zum Beispiel beim Abfall ganz ätzend“, ein hoher Krankenstand, wenig Wirtschaftlichkeit, unflexible, langfristige Entscheidungswege: „Das liegt an den Strukturen.“ Für das neue Kompostierwerk sei durchaus vorstellbar, daß der Mist „von einer Gartencenter-Kette mit Gütesiegel vermarktet wird“. „Behörden fehlt“, ist sein Fazit, „das Marketing-Know-how, eine Verwaltung kann kein Schnäppchen machen.“ Aber, schränkt er ein, „ich rede hier nicht einer Privatisierung in allen Bereichen das Wort“.

Und dann verfällt der Kämmerer in leichte Schusseligkeit. Was sein Lieblingsthema sei? Er antwortet spontan: „Spanische Literatur!“ Nein, so war das nicht gemeint. Am liebsten im neuen Amt ist dem Bankierssohn also das „Zinsmanagement“. Schnelles Umdisponieren, alte Kredite kündigen und andere aufnehmen, das kann bei 7 Milliarden Mark Schulden eben auch Geld sparen. Ab 1998, in vier Jahren, soll mit dem Abbezahlen begonnen werden.

Daß Sparen auch komische Seiten haben kann, dämmert beim Verkauf des städtischen Weingutes. Der Käufer wollte vier der zwölf Angestellten übernehmen. Keiner ging auf das Angebot ein, sondern alle nutzten lieber die Möglichkeit zur Übernahme in die Stadtverwaltung. Der Sparwille des Presseamtes, das seine Räume selber renovierte, stieß auf den Protest des Malerhandwerks.

Und gerade bei Problemen, bei denen er im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Baum und Borke sitzt, runzelt sich die Stirn des Doppeldezernenten gern zur Chefsache. Zum Beispiel solche: Der Stadtwald ist ein Geschenk aus Kaisers Zeiten und ein kleines Frankfurter Nationalheiligtum. Der Schwammspinner ist ein Falter, dessen Raupen auch in diesem Jahr wieder massenhaft über die Bäume herfallen werden. Ein grüner Umweltdezernent, der für den Gifteinsatz gegen die Tiere entscheidet? Brr, eine haarige Vorstellung. Andererseits aber, grübelt Koenigs, „ist der Teufel los, wenn der Stadtwald stirbt“.

Anekdoten neueren Datums schildern ihn als denjenigen, der auch in ausweglosen Situationen Rat weiß. Da war die Zeit der strapaziösen ersten Tolerierungsverhandlungen zwischen SPD und Grünen 1983 im Hessischen Landtag. Ein Teilnehmer der Runde erinnert sich an Tom Koenigs als einen „Zocker mit Gespür für Stimmungen und Realitäten“: „Da ging nichts mehr, alles war festgefahren, absoluter Tiefpunkt. Wir hätten uns alle gegenseitig nur noch erschießen können.“ Koenigs sei es gewesen, der einen unorthodoxen Vorschlag durchsetzte: „Alle eine Woche in Urlaub!“ Und: „Fünf Minuten später hing ein Schild in der Fraktion. Eine Stunde später saß der erste im Flieger nach Italien.“ Die seltsame Roßkur hatte ihre Wirkung: „Alle waren verdutzt, die SPD völlig fertig. Und wir kamen eine Woche später erholt und munter wieder. Das hat sich ausgezahlt.“ „Kein Wunder“, sagen Ratskollegen, „daß er seine großen Dinger auch immer bei der CDU durchkriegt, zum Beispiel den Grüngürtel und den Verkauf der Veba-Aktien.“ Da lobte ihn sogar der Oppositionsführer.

Klatsch über Tom Koenigs? Der geht entweder weit ins Private, und das hat er nach einigen schlechten Erfahrungen nicht gerne. Oder es ist immer wieder genüßlich kolportiert worden. Daß er als Rebell der 68er Generation und RK-Kämpe (Revolutionärer Kampf) sein Millionenerbe zum Ärger seiner Familie 1971 an den Vietcong verschenkte, daß er zwecks Revolutionierung der Arbeiterklasse im Betrieb schaffte, sich für die Unterdrückten Lateinamerikas engagierte, Márquez übersetzte, dem hessischen Umweltminister Joschka Fischer aus Straßenkampfzeiten freundschaftlich verbunden ist. Von Fischer unterscheidet er sich allerdings vor allem durch jenen Mangel an Willen zur Macht, den er durch Pflichtgefühl ausgleicht. Tom Koenigs tut wenig, um selbst zu glänzen, aber viel, weil's doch irgendwer tun muß. Wenn er also samstags durch Bornheim radelt, gerät ihm die Bescheidenheit unversehens zum sympathischen Populismus. Um ein solches Faible für Billigläden zu haben, muß einer wohl als Bankierssohn aufgewachsen sein. Daß Koenigs in diversen Publikationen als „preußisch“ charakterisiert wird, ist eigentlich ein Mißverständnis und übersieht den eher verdeckten Humor, in dem Ironie nur so kurz und schnell aufblitzt, daß sie schon vorüber ist, ehe sie richtig bemerkt wird. Einer, der für sich wenig haben will und von sich selbst noch weniger gern etwas hergibt, wirkt eben preußisch. Deshalb sind Pickelhaube und Uniform, die seit seinem 50. Geburtstag am Garderobenständer hängen, auch keine Anspielung, sondern ein Versöhnungsgeschenk der Feuerwehr. Mit der und den Kleingärtnern hatte es sich Koenigs bei seinem Amtsantritt als Umweltdezernent gründlich verdorben, weil er ihre Existenz schlicht ignoriert hatte. So etwas würde ihm heute nicht mehr passieren.

Spekulationen im Falle einer rot-grünen Regierung in Bonn sind Wasser auf die Mühlen der Frankfurter Grünen. Sie können sich ihren Vorzeigekämmerer durchaus als Finanzminister vorstellen. Der Kontakt zur Basis dürfte daran auch keinen Schaden mehr nehmen. Der ist, sagen KritikerInnen aus der Kreisversammlung, „ohnehin in der letzten Zeit nicht mehr so gut wie früher“: „Der stellt uns nur noch vor vollendete Tatsachen und sagt nicht mehr, was er macht.“ Oder: „Der ist arrogant geworden.“ Das trifft eine empfindliche Stelle. Da zieht er sich in seine beiden Dezernate zurück, arbeitet weit über den Feierabend hinaus und lobt den Zusammenhalt im Team. Eigentlich, sinniert er dann, sei er ja in die Grünen gegangen, weil der alte Freundeskreis „immer weniger wurde“. Aber jetzt komme es ihm manchmal wieder so vor, als ob er außerhalb seiner beiden Dezernate doch recht einsam werde.

Wenige Tage später verteilt der Kämmerer wieder einmal jene Bonbons, die seinen Erfolg ausmachen. Hatten sich doch die Frankfurter, an deren traditionellen Bürgersinn er bei seinen Spar- und Steuererhöhungsdrohungen immer wieder appellierte, überraschend einsichtig gezeigt, „wenn man es ihnen nur richtig erklärt“. Sie hatten die Erhöhung der Gewerbe-, der Grund- und der Hundesteuer „ohne größeres Geschrei“ ebenso hingenommen wie Gebühren für Vereine, wenn sie Bürgerhäuser nutzen wollen. Auch die Jugendclubs nörgelten nur verhalten über die knappere Verteilung aus der Stadtkasse. Nun teilte der pfiffige Kämmerer die positive Nachricht mit: 1995 werden die Kosten für Müllabfuhr und Straßenreinigung nicht erhöht. Dafür müssen, und das dürfte bei Otto Normalverbraucher auch ein wenig Schadenfreude auslösen, die in teuren Gebäuden untergebrachten Ämter umziehen, die städtischen Bediensteten nach einer Personalreduzierung zusammenrücken. Daß das nun fusionierte Kassen- und Steueramt erstmals mit kostensparender, moderner Datenverarbeitung ausgerüstet worden ist, spricht Bände gegen die Vergangenheit.

„Die Stimmung“, nimmt Rainer Vollreiter wahr, „ist umgeschlagen.“ Das habe auch die Telefonaktion gezeigt: „Koenigs wurde dabei überhaupt nicht beschimpft.“ Im Gegenteil, die AnruferInnen hatten eine Fülle eigener Sparvorschläge. Selbst die Kleingärtner, deren wahrhaft minimale Pacht zu erhöhen sich vorher nie jemand traute, hätten das „ohne wilden Protest hingenommen“.