Griechenland vor dem Euro-Kadi

■ Klage der EU-Kommission wegen Makedonien-Blockade

Brüssel (taz) – Die wichtigste Frage blieb gestern unbeantwortet: Welche Möglichkeiten hat der Europäische Gerichtshof tatsächlich, Griechenland zur Aufhebung der Handelsblockade gegen das Nachbarland Makedonien zu zwingen? „Eine interessante Frage“, gab auch der Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Hans van den Broek gestern in Brüssel zu, „ich wage nicht, sie zu beantworten.“

Nachdem die von der Europäischen Kommission eingeräumte Frist von sieben Tagen ergebnislos verstrichen war, reichte die Kommission gestern beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage gegen das Mitgliedsland Griechenland ein. Nach Auffassung der Kommission verstößt die Handelsblockade Griechenlands gegen die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Makedonien gegen das Gemeinschaftsrecht, das freien Handel der EU-Länder mit Drittstaaten vorsieht.

Seit zwei Monaten hat Griechenland den Hafen von Thessaloniki für den Transit makedonischer Waren gesperrt. Durch die Handelssperre soll Makedonien gezwungen werden, seinen Namen und seine Staatssymbole zu ändern, weil die Regierung in Athen darin Gebietsansprüche auf die gleichnamige griechische Provinz erkannt haben will. Die Kommission und 92 Prozent der EU-Mitgliedsstaaten können diese Argumentation nicht nachvollziehen.

Weil eine abschließende Entscheidung der Luxemburger Richter nicht vor 1996 zu erwarten ist und bis dahin das wirtschaftlich angeschlagene Makedonien ausgetrocknet sein dürfte, hat die Kommission beim Europäischen Gerichtshof gleich noch eine einstweilige Verfügung beantragt. Eine solche Verfügung, die nach aller Erfahrung in drei bis sechs Wochen zu erwarten ist, würde von Griechenland verlangen, die Handelssperre bis zur endgültigen Entscheidung auszusetzen.

Die Europäischen Verträge sehen keine unmittelbaren Zwangsmaßnahmen vor, die mit einem Urteil verbunden wären. Allerdings gibt es nach Artikel 171 die Möglichkeit, daß die Kommission Zwangsgelder vorschlägt, wenn ein Land das Urteil des hohen Gerichts einfach ignoriert. Das Gericht muß sich dann erneut mit dem Fall befassen und die Strafe bestätigen oder ablehnen. Aber dieses Verfahren ist nicht nur umständlich, sondern auch bewußt langwierig und offensichtlich mit der Absicht formuliert worden, zwischen den einzelnen Verhandlungsschritten genügend Zeit für eine gütliche Einigung zu lassen.

Bisher kam es nur bei drittrangigen Problemen vor, daß ein Mitgliedsstaat einen Luxemburger Richterspruch ignorierte. Frankreich weigerte sich beispielsweise trotz gerichtlicher Aufforderung, polnisches Lammfleisch ins Land zu lassen.

Alle diese Probleme wurden schließlich durch Kompromisse einvernehmlich gelöst. Beim Lammfleisch etwa beschloß der Ministerrat Einfuhrschranken, die das Urteil hinfällig machten. Im Fall der griechischen Handelssperre gegen Makedonien, der bisher schwersten Verletzung der Europäischen Verträge, ist ein solcher Kompromiß schwer vorstellbar. Die Kommission drückt sich um klare Aussagen in der Hoffnung, daß Athen dem politischen Druck nachgeben werde, der von einer Verurteilung durch das Europäische Gericht ausgehen wird. Alois Berger