„Hi Bill, sag einfach Rudi zu mir“

■ SPD-Kanzlerkandidat Scharping und sein Besuch in Washington

Washington (taz) – Hier in den USA würde er nie gewinnen. Was nicht an seinem Bart liegt, sondern an den Zigaretten, die er zwischendurch raucht. Bei der gegenwärtigen Hatz auf Tabakkonsumenten hätte Rudolf Scharping als Präsidentschaftskandidat folglich kaum Chancen. Nun sind solche Kriterien für die Bundestagswahlen von untergeordneter Bedeutung – und das Washingtoner Besuchsprogramm für den Kanzlerkandidaten der SPD zeigt, daß man sich auf einen Machtwechsel in Deutschland einstellt: Neben führenden Kongreßmitgliedern traf sich Scharping mit Verteidigungsminister William Perry, Außenminister Warren Christopher und am Dienstag auch mit US-Präsident Bill Clinton im Weißen Haus.

Womit man gleich beim ersten Thema wäre: Die wahlstrategische Hoffnung, daß die Begegnung mit dem Amerikaner nun auch dem Deutschen etwas vom Flair eines Hoffnungsträgers verleihen möge. Parallelen gibt es zweifellos: Beide gehören einer neuen Politikergeneration an; beide haben ihren Parteien mehr oder weniger galant einen Schubs nach rechts verpaßt; beide geben sich als neue Repräsentanten der Demokraten respektive Sozialdemokraten aus, die die Reduzierung des Haushaltsdefizits zur Priorität machen. Beide haben in ihrem Wahlkampf die Wirtschaft zum Hauptthema gemacht. Und wie Clinton meint nun auch Scharping, den Eindruck außenpolitischer Unberechenbarkeit korrigieren zu müssen.

Womit man beim zweiten Thema des Besuchs wäre: das eifrige Bestreben Scharpings, sich außenpolitisch als vollbärtige Version von Helmut Kohl auszugeben. Immer wieder betonte er, daß unter einer SPD-geführten Regierung weder an der Rolle der Nato gerüttelt werde noch mit irgendwelchen anderen außenpolitischen Kurswechseln zu rechnen sei. Auch die Bündnisgrünen bekamen noch einmal ihr Fett ab. Deren Parteitagsbeschlüsse zur schrittweisen Auflösung der Nato seien „Unsinn, für den sie keinen Partner finden werden“.

Möglich, daß diese Imagepflege mehr für die amerikanische Öffentlichkeit gedacht war, in der sich so manche unter einem „Social Democrat“ ein potentiell anti- amerikanisches, pazifistisches Wesen am linken Rand des politischen Spektrums vorstellen. Innerhalb der Clinton-Administration jedenfalls sieht man dem Wahlausgang in Deutschland gelassen entgegen – auch wenn Clinton mittlerweile ein ausgemacht freundschaftliches Verhältnis zu Kohl pflegt und im Falle einer Niederlage der CDU auf weitere Eßgelage mit ihm verzichten müßte.

Zudem sind es nicht sicherheitspolitische Themen, denen Washington im deutsch-amerikanischen Verhältnis derzeit höchste Priorität einräumt. Wenn in Washington etwas mit Argwohn beobachtet wird, dann die Zinspolitik der Bundesbank, nicht der innerdeutsche Streit um die zukünftige Rolle der Bundeswehr.

Abschließend bleibt noch eines zu klären: die Differenzen zwischen Bill Clinton und Rudolf Scharping. Charisma und Visionen sind eindeutig nicht die starke Seiten des Pfälzers im Gegensatz zu dem Ex-Gouverneur aus Arkansas. Davon konnten sich nun auch die Amerikaner überzeugen. Nur wundern sie sich deswegen weniger über Scharping als über die deutschen Wähler. Andrea Böhm