Windelweiche Beteuerungen, klare Beweise

Das auf dieser Seite präsentierte Bildmaterial, das deutsches Exportgut im Kurdistan-Einsatz zeigt, vermag das „freundschaftliche“ Klima zwischen Bonn und der Türkei nicht zu trüben

Um Krieg gegen ein Volk, um Folter, Mord und den Einsatz deutscher Waffen streiten Menschenrechtler und Opposition seit Tagen wieder mit der Bundesregierung. Außenminister Kinkel (FDP) aber sprach gestern in seiner Regierungserklärung zu den deutsch-türkischen Beziehungen von „Intensivierung unseres kritischen, aber auch partnerschaftlichen Dialoges mit unseren türkischen Freunden“. Zur Lage der Menschenrechte und der Lage der Kurden fiel ihm die ausdrucksstarke Formulierung ein, diese seien „nicht befriedigend“.

Kein Wunder, daß Kinkel die jüngsten Beweise für den Einsatz deutscher Waffen beim Kampf gegen die Kurden nicht würdigen wollte. Der Außenminister eines Nato-Staates, dessen Nachrichtendienste auf die Auswertung von Satellitenfotos und Berichten von Militärattachés zurückgreifen können, kündigte lediglich die Überprüfung der Fotos und Augenzeugenberichte durch „Experten“ an. Windelweiche Beteuerungen zählen für Kinkel offensichtlich mehr als handfeste Beweise: „Solange die Vorwürfe nicht stichhaltig belegt sind, hat die Bundesregierung keinen Anlaß, an den detaillierten Versicherungen der Vertragstreue eines freundschaftlich verbundenen Partners zu zweifeln.“

Der Außenminister hielt seine Rede vor einem Forum, dessen Mitglieder die Gelegenheit ausgeschlagen hatten, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Lediglich drei Volksvertreter, allesamt SPD-Abgeordnete, waren am Dienstag der Einladung von Menschenrechtsgruppen gefolgt, die anhand von Fotos und Augenzeugenberichten die Verwendung deutscher Waffen nachwiesen. Ihre Belege präsentierten sie am Nachmittag auch hochrangigen Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes. Der SPD- Abgeordnete und Abrüstungsexperte Gernot Erler kam angesichts der Fotos von deutschen BTR-60- Panzern zu dem Schluß: „Sie sind einwandfrei zu identifizieren – und ich kenne mich in dem Bereich aus.“ Das Argument, wonach die deutschen BTR-60-Panzer mit BTR-80-Kettenfahrzeugen aus russischen Beständen verwechselt würden, hören die Menschenrechtler immer wieder. Auch Kinkel verwies gestern vor dem Bundestag auf diese türkische Argumentation.

Wenn das stimme, so meinen Mitglieder von Beobachterdelegationen, die kürzlich in Kurdistan waren, dann müßten die zehn russischen „Alibi-Panzer die Fähigkeit habebn, an vielen Orten zugleich aufzukreuzen“. Die Delegationsmitglieder hatten ihr Unterscheidungsvermögen unter anderem an offiziellem Material geschult, das als verläßlich gelten darf: an „Erkennungsblättern“, die vom Verteidigungsministerium herausgegebenen wurden.

Nicht strittig ist, daß Deutschland ungeheure Mengen Kriegsmaterial an die Türkei geliefert hat. So staunte der FDP-Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin angesichts der Auflistung: „Man hat ja fast den Eindruck, die türkische Armee hat keine Ausrüstung gehabt. Die haben sich anscheinend nur mit Fäusten verteidigt.“

Daß ganze Battaillone mit schweren Waffen aus deutschen Beständen tatsächlich über türkische Straßen und Böden rollen, ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Bündnis 90/Grüne: 15 Kampfpanzer LeopardI, 300 gepanzerte Kampffahrzeuge BTR-60, 30 Kampf- und Aufklärungsflugzeuge RF-4E, 131 Panzerhaubitzen, 85 Kampfpanzer LeopardI, 187 gepanzerte Kampffahrzeuge MTW M113 führt sie auf. Dabei umfaßt die Liste nicht die 250.000 Kalaschnikows, 5.000 Maschinengewehre, 100.000 Panzerfäuste und 440 Millionen Schuß Munition, die dem Nato-Partner aus NVA-Beständen kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, weil es nur um solche Waffen geht, die von dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSZE- Vertrag) erfaßt werden. Nur wenige Systeme sind noch versprochen – der vollmundig verkündete Lieferstopp bis zur Klärung der Wahrheit erweist sich so als wenig wirksamer Schritt.

Deutlichere Worte als Kinkel fand gestern SPD-Fraktionschef Klose. Er sprach von einem „regelrechten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung“ und bezeichnete es als sicher, daß dabei „in großem Umfang“ deutsche Waffen eingesetzt würden. Deutlicher als der Außenminister beschrieb er auch die strategische Bedeutung, die dem Nato-Partner an der Südflanke zukommt. Die Ankündigung seines Kollegen Kolbow vom Vortag nahm er freilich nicht auf. Der hatte vorgeschlagen, wenn die die Türkei die Menschenrechte nicht respektiere, solle sie „als letzte Konsequenz“ zum Spannungsgebiet erklärt werden.

Damit würden Waffenlieferungen ausgeschlossen, weil das Kriegswaffenkontrollgesetz Anwendung fände. Als Argumentationshilfe übergab die Hilfsorganisation medico international gestern eine Liste mit den Namen von 800 von türkischem Militär zerstörten Dörfern und Stadtteilen an das Außenministerium und den Bundestag. Es dürfte nicht der letzte Versuch gewesen zu sein, mit Argumenten in die Debatte um die deutsche Militärhilfe und Außenpolitik einzugreifen. Denn bei den Menschenrechtsgruppen, die sich um Kurdistan kümmern, gehen jeden Tag neue Hinweise auf Gewalttaten und den Einsatz deutscher Waffen ein. Die Bonner Reaktionen stimmen nicht optimistisch. Angesichts offizieller Zweifel an dem Erkennungsmerkmal für deutsche BTR-60-Panzer flüchtet etwa Ulla Frey von der Kampagne „Produzieren für das Leben – Rüstungsexporte stoppen“ in Zynismus: „Dann ist vielleicht nur der Außenspiegel illegal in Kurdistan.“ Hans Monath, Bonn