piwik no script img

„Die Käseglocke aufknacken“

■ Die Kandidaten um den SPD-Parteivorsitz im taz-Interview

taz: Herr Kuhbier, wie fühlt man sich nach 13 öffentlichen Veranstaltungen als „Kandidat der ewig gestrigen Parteiklüngler“, wie es die Jusos so knackig formulierten?

Jörg Kuhbier: Pudelwohl. Ganz egal wie das Ergebnis ausfällt – schon das Verfahren ist ein Erfolg. Ich fühle mich nicht als Klüngler, sondern als progressiver Sozialdemokrat. Ganz unterschiedliche Parteimitglieder haben mich um eine Kandidatur gebeten. Zwischen Eugen Wagner und Helgrit Fischer-Menzel besteht schon ein gewisser Unterschied.

Herr Mantell, wurde Kuhbier zur Kandidatur gedrängt, weil manchem der Kandidat Mantell als zu gefährlich erschien?

Jürgen „Eddi“ Mantell: Ich kann in die Köpfe der Leute nicht reingucken, die Jörg überredet haben. Aber gewundert hat es mich schon, daß er seine Kandidatur erklärte, nachdem meine bereits stand – also offensichtlich gegen mich.

Kuhbier: Ich sehe in Eddis Kandidatur eine Hypothek, weil er durch seine berufliche Tätigkeit in der Stadtentwicklungsbehörde die Eigenständigkeit der Partei nicht fördern, sondern belasten wird.

Herr Mantell – Wessen Kandidat sind Sie denn?

Mantell: Ich bin im linken Parteiflügel großgeworden – wie Jörg. Mitte der 80er Jahre hab ich mich von ihm gelöst. Die Flügel verloren ihre inhaltliche Basis und degenerierten zu Machterhaltungs-maschinen. Ich habe stattdessen versucht, eine inhaltliche Reformdebatte in der Partei zu installieren.

Mantell, der unabhängige Erneuerer, Kuhbier, der berechenbare linke Flügelmann?

Kuhbier: Wenn man so lange politisch gearbeitet hat wie ich, wissen die Leute, wofür ich stehe. Das bedeutet aber nicht, daß ich bequem bin: Hamburger Kessel, Stromversorgung in der Hafenstraße, das Salzstreuverbot ... Ich verfüge über Stehvermögen und Konfliktfähigkeit – aber berechenbar bin ich schon.

Herr Geppert, warum wollen Sie das höchste Parteiamt nicht den altgedienten Funktionären Mantell oder Kuhbier überlassen?

Alexander Geppert: Ich habe niemals den Anspruch erhoben, Parteivorsitzender zu werden. Ich will als Basisdemokrat Zeichen setzen. Die SPD muß sich ändern, Bürgernähe ermöglichen, die Partei für neue Mitglieder und neue Gedanken öffnen.

Eine symbolische Kandidatur?

Geppert: Eine symbolische Kandidatur, um der Basis zu zeigen, daß etwas geändert werden muß.

Und wenn sie am Ende doch vorne liegen?

Geppert: Dann würde ich die Sache noch einmal in Ruhe mit Jörg und Eddi durchsprechen. Ich müßte mich persönlich auch fragen, ob mich dieses Amt nicht überfordert und dann möglicherweise zurückziehen. Ich nehme aber nicht an, daß ich gewählt werde. Dazu bin ich zu jung in dieser Partei.

Welche Basis hat Sie ins Rennen geschickt?

Geppert: Überhaupt keine. Das geht ein bißchen in Richtung Wilhelm Tell – eine innere Stimme. Da war eine totale Frustration, so daß ich mir sagte: Entweder trittst Du aus oder Du machst ein bißchen Basisrevolte.

Herr Kuhbier, sie sagten kürzlich: Die Parteien stehen mit dem Rücken zur Wand. Warum eigentlich?

Kuhbier: Durch Korruptionsaffären, durch Mißgriffe und Leistungsmißbrauch. Ob Lambsdorff oder Steinkühler, ob CDU oder CSU – das Vertrauen in die Parteien ist geschwunden. Die Wahlergebnisse der großen Parteien belegen das nur zu deutlich.

Sie suchen ihre Beispiele nicht gerade in Hamburg.

Kuhbier: Die Diätenfrage ist hier sicherlich der Hauptpunkt ...

Hören Sie bloß noch nicht auf ...

Kuhbier: Wenn jemand wie Robert Vogel Bauunternehmer ist und gleichzeitig Bebauungspläne beeinflußt, bildet das sicherlich kein Vertrauen. Eine vertrauensbildende Maßnahme ist es auch nicht, daß der Haushaltsausschußvorsitzende Gerd Weiland gleichzeitig ein Unternehmen leitet, welches wirtschaftlich der Stadt gehört und nur durch ihre Unterstützung lebt.

Thema Filz: Da hat Hamburg einen ungeheuren Aufklärungsbedarf. Würden Sie als Parteichef Licht in dieses Dunkel bringen?

Kuhbier: Mir ist es wichtig, unzulässige Interessenverflechtungen in der Stadt abzubauen.

Mantell: Die SPD ist an der Basis ganz in Ordnung. Aber die Strukturen, wo in der SPD Macht ausgeübt wird, sind veränderungswürdig. Hier setzt das große Reformpaket an, für das ich immer eingetreten bin: Verwaltungsreform, Verfassungsreform und Parteireform.

Die heutigen Strukturen erlauben der Partei ein Leben unter einer Art Käseglocke. Die muß aufgeknackt werden. Eine Verwaltungsreform mit Bürgerämtern, die Entscheidungsbefugnisse haben. Dazu Wahlkreise und Parteistrukturen, die zu den Bürgerämtern passen. Derzeit hab ich den Eindruck, daß die Themen, die in der Stadt diskutiert werden, in der Partei überhaupt nicht den entsprechenden Stellenwert haben. Stattdessen spielen Personalquerelen – Wer wird was?! – die zentrale Rolle.

Eins hat mich zum Beispiel bei den Koalitionsverhandlungen mit der GAL gestört. Da war Hafen ein zentrales Thema. Die GAL hat das immer breit diskutiert. Bei uns geistert der Hafen seit Jahren durch die Programme – aber eine Debatte, welche Funktion der Hafen in dieser Stadt hat, hat es nie gegeben. Also: Inhaltlich diskutieren. Dann ändern sich die Strukturen – und auch die Funktionäre.

Kuhbier: Ich glaube nicht, daß Eddis euphorische Vorstellungen von Partei- und Verwaltungsreform der Hebel sind, um alles zu lösen.

Mantell: Ein Hebel.

Kuhbier: Es geht doch um handfeste Macht- und Interessenkonflikte. Zum Beispiel bei der Verwaltungsreform: Die Handelskammer will ein Vetorecht, die Bezirksamtsleiter möchten die Ortsämter abschaffen, die Ortsämter möchten die Bezirksamtsleiter abschaffen, der Bürgermeister verlangt die Richtlinienkompetenz, das Parlament möchte mehr bestimmen und Verwaltungsaufgaben übernehmen.

Mantell: Wir haben aber für die zentralen Vorschläge 80prozentige Mehrheiten auf dem Parteitag.

Kuhbier: Die eigentlichen Strukturfragen werden doch so nicht umgesetzt. Die Bürgerämter z.B. sind im Augenblick gar nicht finanzierbar. Es wird allenfalls sehr kleine, bescheidene Schritte geben. Man darf keine überzogenen Erwartungen wecken.

Wo wollen Sie denn den Hebel ansetzen?

Kuhbier: In der Vergangenheit ist die Partei zu sehr vereinnahmt worden von Senat und SPD-Fraktion. Sie mußte Entscheidungen immer mittragen. Umgekehrt wurden die Ansprüche der Partei z.B. in der Umwelt-, Verkehrs- und Wohnungspolitik von Senat und Bürgerschaft viel zu wenig berücksichtigt.

Darüber hat schon Helmuth Frahm gejammert. Der aber ist gescheitert. Gerade auch an Personen im Senat und in der Fraktionsspitze.

Kuhbier: Wenn damals in der Diätenfrage die Partei z.B. gesagt hätte: Das ist nicht unsere Sache. Wir geben Euch unseren Rat – wenn ihr den nicht beherzigt, werdet ihr die Folgen ertragen müssen. Stattdessen hat sich die Partei immer wieder einschwören lassen. Daran leidet sie noch heute schwer.

Da rühren Sie aber an ein Grundgesetz der Hamburger Sozialdemokraten. Hier gilt doch: Der Senat entscheidet, die Fraktion segnet ab, die Partei vermittelt die Ergebnisse ihren Mitgliedern. Helmuth Frahm hat den realen Bewegungsspielraum des Parteichefs jetzt noch einmal deutlich beschrieben: Fehlendes Vertrauen, kein Mannschaftsgeist, Parteiämter werden als Durchgangstationen für politische Karrieren mißbraucht, die Parteijugend wird systematisch ausgegrenzt, der Parteichef ist Gefangener einer kleinen Gruppe von Spitzengenossen. Wie wollen Sie das ändern?

Kuhbier: Das ist natürlich schwer. Aber der Rücktritt von Helmuth Frahm macht es den Nachfolgern leichter.

Mantell: Die von Helmuth Frahm beschriebenen Zustände haben sich so zugespitzt, daß es so nicht weitergehen kann. Sein Nein hat bereits für Bewegung gesorgt. Der neue Landesvorsitzende wird mehr Macht und eine andere Funktion haben als bisher. Das Verfahren „Senat entscheidet, Fraktion segnet ab, Partei organisiert die Zustimmung bei den Mitgliedern“, wird es in dieser Form nicht mehr geben.

Wirklich? Zum Beispiel beim Thema Hafen: Da gibt es Essentials des Bürgermeisters, die sind Grundlage der Regierungspolitik. Da kann doch nicht ein Parteichef kommen und sagen, nun will die SPD Elbvertiefung und Hafenerweiterung noch einmal neu diskutieren. Das gäbe einen Mordskrach.

Mantell: Bisher hat die Partei in ihren Wahlprogrammen ja die Position des Bürgermeisters bezogen. Auch wenn ich meine, es hat keine Debatte darüber geben – so ist es doch erstmal Meinung der Partei. Der Parteivorsitzende kann nicht kommen und sagen, ich hab hier eine andere Meinung, komm Bürgermeister, laß uns mal darüber debattieren. Ich bin aber der Auffassung, daß wir eine Deatte über die zukünftige Entwicklung des Hafens führen müssen.

Kuhbier: Bei der Frage der Unterelbevertiefung gibt es eine Reihe von Bedenken und Prüfungsfragen, die die Umweltbehörde unter meiner Federführung erstellt hat – die müssen erst einmal zufriedenstellend beantwortet werden.

Beispiel Verkehr: Da hat die Hamburger SPD seit mehr als einem Jahr eine klare Beschlußlage. Im politischen Programm des Koalitionssenats finden wir so gut wie nichts davon. Das aktuelle Regierungsprogramm steht an vielen Punkten sogar in direktem Widerspruch zu den Parteitagsbeschlüssen.

Kuhbier: Zunächst einmal habe ich eine persönliche Meinung. Die ist seit 1991 in dem Umweltkonzept 2000 klar formuliert ...

Die Partei ist ihren Vorstellungen darin ja weitgehend gefolgt ...

Kuhbier: In der Verkehrspolitik – ja. Und zwar ohne Einspruch oder Widerspruch des Bürgermeisters. Die Partei ist insoweit durch die allgemeinen Festlegungen des Kooperationsvertrages mit der Statt-Partei nicht gebunden. Es nützt aber nichts, wenn die Partei ganz tolle Dinge beschließt und die Exekutive sagt dann Nein. Hier muß der Landesvorsitzende einen Diskussionsprozeß einleiten, moderieren.

Hört der Bürgermeister da überhaupt zu?

Kuhbier: Meine Aufgabe ist es nicht, den Bürgermeister zu beraten. Der Landesvorstand hat zuallererst die Beschlußlage des Parteitages durchzusetzen. Wenn andere jetzt ihre Meinung ändern, dann haben die erstmal die Beweislast und müssen begründen, warum sie es jetzt anders wollen.

Herr Mantell, trauen sie Jörg Kuhbier zu, das einzulösen?

Mantell: Ich will nicht schlecht über ihn reden. Ich würde es ihm zutrauen. Aber ich würde es besser machen.

Geppert: Der Landesvorsitzende hat eine Vermittlerfunktion zwischen der Basis und der Regierung. Das vermisse ich bislang. Daran ist letztlich auch Helmuth Frahm zerschellt.

Offene Konflikte zwischen Partei und Regierung? In Hamburg ist doch der Bürgermeister nur deshalb nicht Parteichef, weil die linken Parteivorsitzenden so brav waren. Bleiben die links und werden jetzt auch noch frech – dann produzieren sie Konflikte.

Kuhbier: Wir produzieren die Konflikte nicht. Die sind da. Es hat doch keinen Zweck, sie zu leugnen. Natürlich will ich als Landesvorsitzender nicht antreten, um mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Aber: Die Konflikte sind in der Gesellschaft da und die SPD muß sie auch austragen beziehungsweise Lösungen aufzeigen..

Frahm hat geklagt, für einen derartigen kritisch-konstruktiven Dialog fehle das Vertrauen zwischen Senat, Fraktion und Partei.

Mantell: Mit einer klaren Rollenbeschreibung können wir das nötige Vertrauen herstellen. Die Partei soll die Grundlinien der Politik vorgeben, Fraktion und Senat haben die Aufgabe der praktischen Umsetzung.

Vielerorts schlußfolgern die Regierungschefs, daß sie besser auch noch den Parteivorsitz übernehmen.

Kuhbier: Ich finde es sehr problematisch, wie Gerhard Schröder das gemacht hat, als er nach dem Wahlsieg sagte, nun werde ich Landesvorsitzender – und er wurde es auch sofort. Das ist eine Entmündigung der Partei.

Falls Voscherau nach Scharpings Wahlsieg im Oktober nach Bonn wechselt, wer wird dann Bürgermeister?

Kuhbier: Es ist nicht die Aufgabe des Landesvorsitzenden, immer einen Bürgermeisterkandidaten in petto zu haben. Wenn die Hamburger SPD einen Bürgermeister braucht, hat sie noch immer einen gefunden.

Geppert: Kann der auch Kuhbier heißen?

Kuhbier: Genausowenig wie ich gegenwärtig einen Bürgermeister suche, werde ich auf diese Frage eingehen.

Wir hören kein entschiedenes Nein.

Kuhbier: Schon das Nein bedeutet, daß man sich mit entsprechenden Spekulationen auseinandersetzt. Das tue ich nicht.

Vorletzte Frage: Was hätten Sie als Parteichefs in Sachen Müllverbrennungsanlage Wilhelmsburg unternommen?

Geppert: Ich hätte die Argumente der Bevölkerung und des Senats in einem offenen Forum besprochen. So wie es jetzt gelaufen ist – das ist kein sozialer Konsens, das ist Entmündigung der Bürger.

Kuhbier: Vorausgesetzt, die Müllverbrennungsanlage würde benötigt ...

Haben Sie da Zweifel?

Kuhbier: Ja. In dem Abfallwirtschaftsplan, den ich mit verabschiedet habe, ist eine solche Müllverbrennungs-anlage nicht enthalten. Neuere Daten stehen mir nicht zur Verfügung. Aber selbst unter der Voraussetzung, wir bräuchten sie und Neuhof wäre ein geeigneter Standort: so, wie geschehen – entscheiden, verkünden, verteidigen – können wir heute nicht mehr vorgehen. Dies wäre ein typischer Fall für ein Mediationsverfahren, in dem ein unabhängiger Dritter eingesetzt wird und alle Betroffenen sich an der Maßnahmendiskussion beteiligen.

Mantell: Die Frage, ob eine Müllverbrennungsanlage erforderlich ist, kann nicht der Landesvorsitzende entscheiden. Das soll die Exekutive machen. Wenn es dann aber um den Standort geht, dann ist es Aufgabe des Landesvorstandes, frühzeitig vor politischen Akzeptanzproblemen zu warnen und Beziehungen zu anderen Politikfeldern herzustellen. Wenn es denn der ideale Standort ist, hätte ich mich eingesetzt für soziale Kompensation.

Letzte Frage: Was würden Sie als Parteichef in den ersten 100 Tagen anfassen?

Geppert: Ich würde kämpfen für Mitgliederentscheid, Mitgliederbegehren, die Aufstellung der Kandidaten für Bürgerschaft und Bezirksversammmlung durch die Mitglieder, die Einführung von Wahlkreisen und die Abschaffung der Listen.

Kuhbier: Ich würde mich kümmern um die Organisation der Arbeit des Landesvorstandes, die klare Abgrenzung der Arbeitsfelder zu Fraktion und Senat und die Entwicklung eines Arbeitsprogrammes für die nächsten zwei Jahre.

Mantell: Ich würde die Parteireform sofort angehen, im Landesvorstand eine Diskussion über die zukünftige Arbeitsplanung angehen und schließlich im Landesvorstand einvernehmlich eine Rollenbeschreibung von Landesvorstand, Fraktion und Senat vornehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen