Durchs Dröhnland: Glenn Branca auf Tollkirschen
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche
Ich hatte einen Traum: Sonic Youth waren doch nicht so intelligent zu erkennen, daß ein wenig Pop auch der größten Atonalität unbestreitbare Vorteile bringt. Schlimmer noch: Glenn Branca ging voll ab auf Tollkirschen. Dann hörte ich Trumans Water und wußte, ich war aufgewacht. Für das Quartett aus San Diego kommen als Vorbilder in Frage: die Happy Flowers, Pappis Bohrmaschine, Euro-Eddie Schmitt auf dem Fußballplatz und Winfried Schäfer daneben. Ihr Prinzip ist völliges Chaos, unbedingtes Durchsetzungsvermögen und totale Beknacktheit – und das alles möglichst laut. Songtitel wie „Theme of Blast“, „Playboy Stabtone Bloodbath Go“ oder „All Wet West of Washington“ sagen da schon manches. Die Reaktionen der Zuhörerschaft schwanken zwischen verwirrt und belustigt, aber tatsächlich sind Trumans Water bisweilen schlicht nervtötend.
Heute, 22 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
Ran kommen aus Sunderland, einem kleinen Ort in der Nähe des bisher bekannteren Newcastle. Aber auch in England hat die Provinz schon vor einiger Zeit aufgeholt, und nicht mehr jede(r) mit Ambition findet notwendigerweise den Weg nach London. Ran, übrigens japanisch für „Chaos“, spielen einen meist straighten Rock, der komischerweise recht antiquiert klingt, obwohl er eine Menge aus der postpunkschen Gefühlswelt atmet. Sie erfüllen, ohne daß man ihnen deshalb böse sein könnte, die Anforderungen des Mainstream ebenso wie die des Underground- Rock.
Heute, 22 Uhr, K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Eine Kanadierin mit einem Hang zu Geschichte und zur keltischen Musik ist Loreena McKennitt. Bevor sie ihre erste eigene Platte aufnahm und sie auch allein produzierte und vertrieb, war sie als Straßenmusikantin unterwegs und hatte Filmmusiken geschrieben. Ihre Stimme erinnert zwar manchmal unangenehm an das Hupfdohlige einer Kate Bush, aber in den schönen, ruhigeren Momenten kann man die Tiefe der Zeit ahnen, in die sich diese Musik vorantastet. Da kann man es ihr auch verzeihen, daß sie sich für das Vorprogramm von Mike Oldfield für dessen 92er Tour hierzulande hergegeben hat.
Heute, 20 Uhr, Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg
Weil wir sowas schon länger nicht mehr hatten, diesmal der Dumpfbackenrocktip. Aus einer Galaxis, wo Männer gepflegt lange Haare tragen und verklemmt-prinzipiell ihre Oberkörper entblößen müssen, wo man mit Pilotensonnenbrillen auf Motorrädern sitzt, Sänger dem Eunuchentum eine neue Chance geben und Gitarren ohne einen Marshall-Verstärker nur die Hälfte wert sind. Gotthard kommen aus der Schweiz, und das ist immerhin ein Land, in dem Frauen vor gar nicht allzu langer Zeit noch gegen ihr eigenes Wahlrecht gestimmt haben. Doch daß Blödheimermetal nicht von der Fortschrittlichkeit der Gesellschaft abhängt, beweisen anschließend gleich It's Alive aus Schweden.
Morgen, 21 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108–114, Kreuzberg
Eine frohe Meldung für alle Didjits-Fans: Die haben nach ausführlicher Suche endlich wieder einen Trommler gefunden, der das sagenumwobene Tempo dieses Trios mitgehen kann, ohne nach zwei Minuten mit Herzinfarkt vom Schemel zu fallen. Ansonsten alles beim alten: Laut, doof, krachend und schlechtes Benehmen auf der Bühne trotz eines Hochglanzanzuges. Die Vorgruppe Shorty ist dafür noch krachender, wenn auch weniger schnell, inklusive Kotzbrockengesang und Gitarren mit den melodischen Qualitäten einer Polizeisirene. Wer zu dem Kreis Auserwählter gehörte, die Jesus Lizard für die größte Band dieses Sonnensystems halten, wird Shorty lieben.
Am 17.4., 22 Uhr, K.O.B.
Die Ukrainians haben noch nie allzuviele Fragen offen gelassen, Geheimnis war ihre Sache nicht. Gitarrist Peter Solowka, zu der Zeit noch bei Wedding Present aktiv, hatte einen ukrainischen Vater, Sänger und Geiger Ken Liggins hat slawische Sprachen studiert, und fertig war die Laube. Daß da aber auch der englische Pop noch ist, verheimlichen sie nicht gerade mit immer wieder auftauchenden Coverversionen der Smiths, die nicht nur ein schwermütiges Volksmusik-Arrangement, sondern auch gleich ukrainische Texte verpaßt kriegen. Zuletzt mußte sogar „Venus in Furs“ von Velvet Underground dran glauben. Aber diese Volkskultur aus zweiter Hand hat ihren Reiz in der leichter verdaulichen Herangehensweise und war – zumindest in England – bisher sehr erfolgreich.
Am 17.4., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Nun doch ein paar nette Worte über die Schweiz. Aus Bern kommen Bishops Daughter, die ihre Verklemmungen zwar schon im Namen andeuten, aber ihren Stampfe-Rock doch immerhin so gehenlassen, daß er von Zeit zu Zeit nett dahingroovt. Ansonsten gilt die alte Geschichte vom kleinen Jungen, der nicht weiß, was er tun soll, also spielt er in einer Rock-'n'-Roll-Band, macht eben das, what a poor boy can do. Das feit aber auch nicht vor pubertierendem Humor: Das eigenbetriebene Label von Bishops Daughter heißt Black Pampers Records, denn „die Hämorrhoiden lassen unseren Ärschen keine Ruhe“.
Am 19.4., 21 Uhr, Huxley's Junior
Immer noch das momentan beste, flotteste, innovativste im Ska- Bereich sind die Mighty Mighty Bosstones. An denen ging das Zeitalter des Punkrock eben nicht so spurlos vorbei wie an den im Genre vorherrschenden Traditionalisten. Statt dessen werden fröhlich die Klassiker der ausgehenden siebziger Jahre mit Off- Beat und Tanzsohlenschmackes fett gefüttert, daß sie platzen mögen vor Partystimmung und fast schon penetranter Fröhlichkeit. Und vor allem haben die Bosstones die saftigsten Bläser mit den stürmischsten Bläsersätzen seit den seligen Dexys Midnight Runners. Kleiderordnung: Baseballmützen über großkarierten Anzügen.
Am 21.4., 20.30 Uhr, Loft. Thomas Winkler
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