Die „selektive statistische Wahrheit“

■ betr.: „Dem Trend einen Schritt voraus“, taz vom 6.4.94

[...] Ein anderer Sachverhalt darf meines Erachtens bei der kritischen Durchsicht dieser Zeitschrift gleichfalls nicht vergessen werden. Sie kommt ja so schön bunt daher, viele Zahlen, aufgemotzt und verpackt in werbebunten Grafiken. Aber hat man denn schon einmal genauer hingesehen, welche Zahlen zur Illustration welchen Sachverhalts verwandt werden? Ich rede nicht von manch zweifelhaft repräsentativen Befragungen.

Zahlen und damit Statistiken lügen ja nicht. Es ist bloß immer die Frage, welche Zahlen ich gerade aus dem schier unerschöpflichen Vorrat auswähle und als Beweis für meine verquasten Anschauungen hernehme. Man kann es auch die „selektive statistische Wahrheit“ nennen. So zum Beispiel, wenn ich ausrechne, wie geschehen, daß ich günstiger mit Sozialhilfe und vielen Kindern „wegkomme“, als „ordentlich“ arbeiten zu gehen.

Oder wenn ich mir immer wieder einmal (Waigel und die CSU lassen grüßen!) vorrechnen lassen muß, was für ein gräßlicher Nettozahler die BRD im Rahmen der EU ist. Kein Mensch macht sich einmal die Mühe, zumindest ansatzweise auszurechnen, welchen Nutzen die BRD von ihrer Führungsrolle in (West-)Europa hat. Bloß dazu bräuchte man etwas mehr Durchblick und zumindest etwas politische Distanz zum konservativen Lager. Das könnte aber wiederum den Focus überfordern. [...] Michael Kargus, Berlin