■ Benzol in der Luft ist kein Thema
: Olivenöl-Skandal als Katharsis

Auf einen guten Salat gehört Olivenöl – kaltgepreßtes wohlgemerkt. Das ist zwar das teuerste, aber auch das leckerste und gesündeste. Seit zwei Tagen aber vergeht vielen Zeitgenossen mit Lebensstil der Genuß: Das baden-württembergische Umweltministerium hat krebserregendes Benzol und andere Lösungsmittel in sämtlichen Proben gefunden. Noch ist völlig unklar, wie die aromatischen Kohlenwasserstoffe in die Ölflaschen aus fünf verschiedenen Mittelmeerländern hineinkamen; spekuliert wird über natürliche Faulungsprozesse, ausdünstende Plastikwannen, Reinigungsmittel und allgemeine Belastungen der Luft.

Der jetzt heraufziehende Olivenöl-Skandal löst die Schlagzeilen über belasteten Babybrei ab, der eine Woche lang Gesprächsthema Nr.1 war. Ohne Zweifel gehören die Lösemittel ebensowenig ins Olivenöl wie Lindan in den Babybrei. Und die Behörden müssen schnellstmöglich entsprechende Produkte vom Markt nehmen. Hysterie aber ist völlig unangebracht – denn Benzol ist immer da – es gehört sozusagen zum täglichen Leben aller BundesbürgerInnen.

Für Benzol gibt es keinen Grenzwert. Offizielle Begründung: Schon ein einziges Molekül kann Krebs auslösen – im Grunde wäre also eine völlige Vermeidung des Stoffes anzustreben. Das aber ist undenkbar in einer Gesellschaft, deren Industrie Jahr für Jahr etwa 1,5 Millionen Tonnen von dem Zeug produziert, um Pestizide, Lacke und Waschmittel damit herzustellen.

Bei weitem der größte Verursacher von Benzol in der Luft aber ist der Straßenverkehr. Die Bundesregierung hält 15 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für akzeptabel – statistisch gesehen kostet das allein in einer Stadt wie Bremen 10 bis 12 Einwohnern jährlich das Leben. In Ballungszentren und in der Nähe von Tankstellen wurden zwar schon gelegentlich einige hundert Mikrogramm gemessen – Straßen gesperrt wurden deshalb aber fast noch nie.

Denn beim Thema Autofahren hört der Spaß für die meisten BürgerInnen dieses Landes auf. Und selbst die technisch relativ einfache Ersetzung eines großen Teils Benzol im Sprit durch andere Chemikalien erscheint den Regierenden im Land der freien Fahrt für freie Bürger nicht durchsetzbar: Schließlich würde das den Benzinpreis noch einmal um ein paar Pfennig mehr in die Höhe treiben. Proteststürme des ADAC wären vorprogrammiert.

Olivenöl- und Babybrei-Skandal haben den Vorteil, daß sich die VerbraucherInnen hier eindeutig als Opfer fühlen können. Durch das Einkassieren der Produkte werden die Produzenten gleichsam gestraft; die Gesellschaft erlebt eine Katharsis. Bei den alltäglichen Benzolbelastungen, insbesondere durchs Autofahren, aber ist eine solch befriedigende Selbstreinigung der Gesellschaft nicht möglich: Denn hier ist fast jeder ein kleinerer oder größerer Täter. Und deshalb ist Benzol im Olivenöl ein großes und Benzol in der Luft kein Thema für den WG- und Stammtisch. Annette Jensen