Kurden in der Türkei „ohne Fluchtalternative“

■ Bremer Verwaltungsgericht wiederspricht bisheriger Rechtsprechung: Für KurdInnen besteht auch im Westen der Türkei „jederzeit“ Verfolgungsgefahr

Bremen (taz) – Die Zahl der deutschen Verwaltungsgerichte, die Kurden aus der Türkei grundsätzlich das Asylrecht zuerkennen, weil sie von einer „Gruppenverfolgung“ ausgehen, wird immer größer. Nachdem das Verwaltungsgericht in Stade bei Hamburg vor einigen Jahren als erstes Gericht die „Gruppenverfolgung“ zur ständigen Rechtsprechung gemacht hat, hat sich inzwischen ein knappes Dutzend Verwaltungsgerichte dieser Praxis angeschlossen.

Mit einer sehr ausführlichen Begründung in bezug auf die aktuelle Lage in der Türkei ist nun auch das Bremer Verwaltungsgericht auf diese Linie eingeschwenkt. Ausschlaggebend war dafür insbesondere, daß die Bremer Richter nach neuen Erkenntnissen nicht mehr – wie bisher noch alle deutschen Oberverwaltungsgerichte – davon ausgehen, daß es für KurdInnen im Westen der Türkei eine sichere „inländische Fluchtalternative“ gebe. Seit den Auseinandersetzungen beim kurdischen Newroz-Fest im Frühjahr 1992 habe sich der Konflikt auf die ganze Türkei ausgeweitet, „so daß kurdische Volksangehörige jedenfalls derzeit im Westen der Türkei nicht mehr mit hinreichender Sicherheit vor Verfolgung leben können“, so das Bremer Urteil. „Korrespondierend mit der Eskalation der Gewalt im Osten und Südosten der Türkei“ sei es ab diesem Zeitpunkt „auch im Westen in zunehmendem Maße zu Konfrontationen mit Attentaten und Bombenanschlägen der PKK einerseits und Razzien, Durchsuchungen und Verhaftungen durch das Militär und die Polizei andererseits“ gekommen, schreiben die Richter. Auch „namhafte Politiker“ hätten „die Willkür gegen die Kurden angeheizt“. Das Bremer Gericht zitiert dazu den ehemaligen Ministerpräsidenten Demirel mit diesem Satz: „Wenn sich im Osten das kurdische Volk komplett gegen die Armee stellt, dann halte ich es für legitim, wenn im Westen des Landes darauf eine totale Reaktion erfolgt.“

Doch nicht nur bei staatlichen Stellen, auch bei der türkischen Zivilbevölkerung entlüden sich „zunehmend Zorn und Ressentiments gegen Kurden in Form von Übergriffen und Diskriminierungen“. In vielen Orten hätten sich türkische Geschäftsleute geweigert, Kurden zu bedienen, in der Kleinstadt Ladik bei Konya seien Lautsprecherwagen der Stadtverwaltung herumgefahren, die zum Boykott kurdischer Läden aufriefen. In Konya selber hätten „die Muezzins über die Lautsprecher der Moscheen die Türken aufgefordert, den Kurden keine Wohnungen mehr anzubieten“. Und der Provinz-Gouverneur habe türkischen Bauunternehmern untersagt, Kurden einzustellen. Die Bremer Richter berufen sich bei diesen Informationen vor allem auf Berichte von amnesty international, zitieren aber auch das „in seinen Äußerungen eher zurückhaltende“ Auswärtige Amt mit der Stellungnahme, „daß in städtischen Ballungsgebieten der Türkei Kurden eher als andere türkische Staatsangehörige vorläufig festgenommen oder verhaftet werden“.

Eine Ausnahme von dieser Anerkennung der „Gruppenverfolgung“ von KurdInnen aus der Türkei will das Bremer Gericht allerdings weiterhin dann machen, wenn eine Anklage wegen Drogenhandels vorliegt. „Wer sich auf Rauschgiftgeschäfte eingelassen hat, kann keine Anerkennung als Asylberechtigter finden“, heißt es in einer Stellungnahme des Gerichts.

Dirk Asendorpf