Hühnermist -betr.: "Der gute Wille siegt", taz vom 10.4.94

Betr.: „Der gute Wille siegt“, 10.4.94

Werter Jan Feddersen, warum bist Du eigentlich in die Kleine Musikhalle gegangen? Der Jauchekübel, den Du über die schwulen Chöre auskipptest, liest sich wie vorher ausgedacht und dann zu faul gewesen, auf den tatsächlichen Verlauf der Veranstaltung zu reagieren. Anders als andere schwule Chöre macht die „Schola Cantorosa“ ihr Schwulsein längst nicht mehr zum Thema. Dieses Programm hätte auch ohne die feiernde Hausgemeinde viel Beifall bekommen, denn es war klasse. Die Behauptung, daß wir als Publikum auch einen Haufen Hühnermist auf der Bühne beklatscht hätten, wenn er nur schwul ist, zeugt von einer maßlosen Arroganz. Vielleicht warst Du einfach zu lange nicht mehr in der Szene, um Dich zu erinnern, daß man auch in der Hamburger „Gemeinde“ total durchfallen kann. Daß Du nicht feststellen konntest, daß hier eine für einen Laienchor ganz beachtliche Leistung geboten wurde, liegt möglicherweise daran, daß Du auf diesem Gebiet nicht sonderlich bewandert bist. Aber auch für Dich gilt: schwul sein allein genügt nicht und qualifiziert schon gar nicht zum Kritiker. Von einem Reporter erwarte ich ein Mindestmaß an Fairness. Wenn Du Dich selbst darstellen möchtest, steig doch auf die Bühne - nach Deiner Theorie kann Dir als Schwulem das ja nur Erfolg bringen. In der Zeitung jedenfalls hat so ein von Profilierungsbedürfnissen motivierter Hühnermist - um bei Deinem eigenen Bild zu bleiben - nichts zu suchen.

Bernd Feldmann