Märchenoper, hübsch unpolitisch

■ Premiere für „Der feurige Engel“ von Prokofjew im Theater am Goetheplatz: Zeitlos schön inszeniert

Bremens Theater am Goetheplatz lud am Donnerstagabend zu einem musikalischen und szenischen Abenteuer der besonderen Art ein. Sergej Prokofjews Oper „Der feurige Engel“ versprach nach langem und kalten Winter Aufregung und Wärme.

Entstanden ist das Werk in der Zeit, in der Prokofjew die sowjetisch gewordene Heimaterde vorübergehend verlassen hatte. Trost fand er damals in Valerie Brjussows, dem selbsternannten Chef der russischen Symbolisten, über eine „wahre Geschichte, in der vom Teufel die Rede sein wird, der wiedereinmal mehr in Gestalt eines leuchtenden Engels einer Jungfrau erscheinet und sie zu zahlreichen sündigen Handlungen treibt,...“ – so der kräftig gekürzte Titel des Romans.

Der „Feurige Engel“ fand vier Jahrzehnte lang kein Publikum. Dem Kulturbürger war er zu kulturbolschwistisch, die Kulturfunktionären fürchteten um das Seelenheil der ihnen anvertrauten Werktätigen. Die Oper hat eine Sonderstellung in Prokofjews Werk. Sie schielt weder nach kommerziellem Erfolg noch nach dem Wohlgefallen des allerhöchsten Kulturfunktionärs, gestaltet sie doch eindrucksvoll in Text und Musik das Zerbrechen eines sensiblen, unangepaßten Individuums unter dem Drck der herrschenden Vrehältnisse. Die Suche jener o.g. Jungfrau Renata nach ihrem Feurigen Engel führt sie und ein halbes Nonnenkloster auf den Weg zu Scheiterhaufen. Ihr lebensfroher Freund Rupprecht kann sie trotz freundlicher Hilfestellung einiger bekannter Dunkelmänner wie Agrippa von Nettesheim, Dr. Faust und Mephisto nicht retten.

Prokofjews Musik meidet jede spekulative Aufblähung. Die Szenen sind sinfonisch konsequent durchkonstruiert. Die Musik wirkt weder distanziert, noch setzt sie auf theatralische Billigeffekte. Sie gestattet ihren Hauptpersonen zuweilen warme Kantilenen und läßt die Welt des Wahns nicht ins Schaumig-Gruselige abgleiten.

Regisseur Peter Konwitschny gelang es in einem begnadet schlichten, ästhetisch aber äußerst reizvollen Bühnenbild (das Bert Neumann verantwortete), diese von Thematik, Entstehungs- und Aufführungsgeschichte her eminent politische Oper konsequent zu entpolitisieren. Die vorangestellte Geschichte von Paulinchen, die allein zu Haus die Lust am Feuermachen mit dem Feuertode bezahlt, stimmt das Publikum auf ein Märchen ein; ein bedeutungsschwangeres sicherlich, aber eben doch weit genug weg, um direkt zu berühren.

Konwitschnys Märchen wird mit einschlägigen Techniken erzählt, wozu beim modernen Märchenerzähler die ironische Distanz gehört. Skurriles, Trauriges, Grelles und Schauerliches ziehen an uns vorüber, aufs Notwendige reduziert. Text und Musik bleiben keineswegs auf der Strecke, sie entfalten ihre Wirkung auf das Prächtigste. Allerdings bekommt dieser Stil nur den Szenen, in denen Rupprecht und Renata mit der Welt zusammenrasseln. Sind sie allein mit sich beschäftigt, weiß die Regie nichts über sie mitzuteilen, oder sie will es nicht.

Für Renata ist dies nicht weiter tragisch, da Katherine Stone ihr auch so die klaren Konturen einer Frau gibt, die weiß,was sie will . Sie bewältigt die anspruchsvolle Partie zuverlässig, ohne den hysterischen Zügen Raum zu lassen. Ihre darstellerische Potenz wird allerdings nicht sonderlich abgefordert.

Dem Ruprecht, gesungen von Ron Peo, bekommt das Desinteresse der Regie an der psychologischen Durcharbeitung der Hauptpersonen überhaupt nicht. Er, der im italienischen Fach kräftig und ausdrucksstark zu singen weiß, kommt mit Prokofjews variationsreichem Parlandostil nicht zurecht. Sein Rupprecht agiert fahrig, ohne erkennbaren Kern.

Was vom Orchestergraben herauftönte war hingegen umwerfend. Ira Levin baute die weiträumig konstruierten Szenen mit großer Disziplin spannungsreich auf. Nur im Flammeninferno des Finales züngelte das ein oder ander unkontrollierte Flämmchen. Nur die elektronische Verstärkung der Stimme des Agrippa hätte er unbedingt verhindern müssen.

Viel Beifall spendete das Publikum. Nur eine kleine Minderheit giftete den Regisseur und seinen Austatter mit kräftigen Buhs an. Viel Beifall und ein mittleres Buh hat diese Produktion auch verdient. Man sollte zumindest keine der wenigen vorgeshenen Veantslatungen versäumen. Mario Nitsche

Nächste Vorstellungen: 21. und 30.4. sowie 3.5., jeweils 19.30 Uhr