Von Menschen und Maschinen

■ Über den Mythos von der taz-Technik-Avantgarde

Wohltuende Ruhe herrscht heute im Allerheiligsten der taz, unterbrochen nur von gelegentlichem Fachgeflüster und zartem Tastaturanschlag aus Programmiererhand. Noch vor einem Jahr drehten sich hier Festplatten, deren Kühlgebläse geräuschvoll brausten. Nun stehen die Rechner auf dem Klo, schlechte Luft und störende Geräusche sind dorthin verbannt, wo sie hingehören. In der vierten Etage des taz-Neubaus residiert jene EDV-Abteilung, deren Herrschaftswissen nicht nur im eigenen Hause die Finanzverantwortlichen das Fürchten lehrt. Zwischen TUNIX und UNIX hat sich hier eine EDV-Crew etabliert, über die die Konkurrenz anerkennend murmelt: „Gefährliche Leute habt ihr da.“

Schreibtischgroß war das Fotosatzgerät, mit dem vor fünfzehn Jahren alles anfing. Eine Floppy disk wurde beschrieben, mit Texten und Satzbefehlen für die Spaltenbreite und Schriftarten. Mit ihr in der Hand eilte der Säzzer zur Belichtungsmaschine, deren Schriftscheibe und Optik durch diese Diskette gesteuert wurden. Warten ..., bis man endlich das belichtete Fotosatzpapier entnehmen und die Fahnen Stück für Stück zu einer Seite zusammenkleben konnte.

Seitdem umgibt ein Mythos die Produktionstechnik der kleinen taz: Sie sei, besagt er, ihrer Zeit und den anderen Zeitungen beim Einsatz modernster Computertechnologie immer eine Nasenlänge voraus. Oder der David der Verlage kann sich dank kreativer Intelligenz gegen die Übermacht hochgerüsteter Goliaths behaupten. Letztere können ihren Mangel an Pfiffigkeit lediglich mit einem Überfluß an Finanzkraft kompensieren. Wieviel Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem Mythos?

Da die taz eigentlich keine Chance hatte, sie aber trotzdem nutzen wollte, begann sie so lean wie möglich. Dies ging nur, weil sie nicht wie die bereits bestehenden Tageszeitungen jene faszinierende, aber auch schwerfällige Technik im Schlepptau hatte, zu deren Bedienung viele gutbezahlte und gutqualifizierte Arbeitskräfte vonnöten waren. Es ist gerade mal fünfzehn Jahre her, daß der klassische Setzer, der an elefantengroßen Bleisatzmaschinen seiner scheinbar unersetzlichen Arbeit nachging, durch die Texterfasser an Fotosatzmaschinen abgelöst wurde. Bereits fünf Jahre später begann das Aus für den Großteil der ganzen Berufsgruppe.

Bei der Erstinstallation mußte die taz noch keinerlei Rücksicht auf eine Gefährdung von Arbeitsplätzen nehmen. Kein träger Verwaltungsapparat oder noch trägere leitende Angestellte, die um ihren Einfluß bangten, standen der Einführung dessen, was technisch zeitgemäß und finanziell möglich war, entgegen.

Bei den nachfolgenden technischen Innovationen sieht das schon etwas anders aus. In der Ausgabe zum fünfjährigen Bestehen heißt es nachdenklich: „Wer führt beim Tanz der Menschen und Maschinen?“ Diskutiert wird der Einsatz eines Zentralrechners mit Bildschirmarbeitsplätzen, an denen Artikel mehrspaltig geformt werden können, und eines Programms, das es erlaubt, mehrere Artikel elektronisch auf einer Seite ihrem Platz zuzuordnen.

Doch einzelne Technik-Cracks sollten nicht widerspruchsfrei walten können. Bedenken des Plenums und Betriebsvereinbarungen gegen allzu forsche Rationalisierungen wurden nun zu Hürden einer ungebremsten Modernisierung. Zu einem eindeutigen Nein zur Einführung neuer Redaktionstechnik mochte sich das Plenum allerdings nie durchringen. Dabei wurde eigentlich sehr viel verlangt: Der einzelne sollte im Zweifel seine eigene Wegrationalisierung beschließen.

Aber nicht nur bei den Betroffenen am Bildschirm war der ständige Anspruch, den technischen Neuerungen standzuhalten, umstritten. Als vor zehn Jahren die ersten tragbaren Texterfassungsgeräte auf den Markt und in die taz kamen, fürchteten auch viele in der Redaktion, daß „von der neuen Technik ein Ruck zum Vorgefertigten, zum Genormten, zur Uniformierung der Zeitungslandschaft“, so der Gewerkschaftsredakteur Martin Kempe in der Ausgabe vom 17. 4. 1984, ausgehen werde. Das wäre tödlich für die taz, auch heute noch, es fragt sich allerdings, ob Anpassung unbedingt der Technik anzulasten ist.

Inzwischen sind aber auch die Erwartungen der Leserschaft gestiegen. Die taz soll aktueller berichten und pünktlicher zugestellt werden. Der Seitenumfang der Zeitung war bereits erweitert worden. An den wenigen Satzgeräten wird das Gedrängel zum Problem der Produktionssicherheit. Gewissermaßen durch die Hintertür kam das „tandy“ in die taz. Denn die Anschaffung dieses tragbaren Geräts ging nicht auf einen Beschluß zur Einführung einer neuen Texterfassungstechnologie für Journalisten zurück. Zuerst sollte lediglich der Engpaß bei der Kleinanzeigenerfassung beseitigt werden. Nicht ohne Stolz berichten die frischgebackenen Besitzer, daß die neuen Dinger „von der Größe eines DIN-A4-Ordners eine ganze Menge Text (ca. 20.000 Buchstaben) speichern“ können.

Doch kaum ist der erste Portable im Haus, hält es keinen Reporter mehr an der Schreibmaschine. Und weil es zu dieser Zeit zwar ein Plenum, nicht aber einen Betriebsrat oder einen nennenswerten ge

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werkschaftlichen Einfluß gibt, ist die taz bald ein weiteres Mal führend in der angewandten Zeitungstechnik. Neidvoll äugen die Kolleginnen und Kollegen von den „richtigen“ Zeitungen auf die mobilen tazler. – Bereits seit April 1982 wird die taz außer in Berlin noch von zwei weiteren Druckereien im Süden und Norden der Republik gedruckt.

Die Not, eine überregionale Zustellung von der Nord- bis zum Bodensee nicht über teure Lufttransporte finanzieren zu können, wurde zur Tugend der Datenfernübertragung. Zunächst erreichten einzelne Artikel, seit acht Jahren die Texte ganzer Seiten und seit einem Jahr schließlich komplette Druckvorlagen mit Fotos und Anzeigen die Druckstandorte in Sekunden. Komprimierte Daten überträgt die taz zu den normalen Telefongebühren über ISDN-Leitungen nach Frankfurt und Hamburg.

Goliath löst das Problem auf seine Art: Der Axel Springer Verlag etwa errichtete vergangenes Jahr mit einem Aufwand von 500 Millionen Mark eine Druckerei in Berlin-Spandau. Mit Betriebskosten in astronomischer Höhe werden seither die aufgeblähten Datenmengen faksimilierter Pressfax-Seiten von Welt und Bild Zigtausende Kilometer durchs Weltall über den Satelliten Kopernikus dorthin übertragen.

Späte Früchte der taz-eigenen Technologie lassen sich in diesem Jahr genießen: die elektronische Weiterverwertung der Zeitung. Seit 1988 werden alle in der taz erschienenen Texte elektronisch archiviert. Datenbanken und Programme wurden entwickelt, mit deren Hilfe treffsicher in Gigabytes an Volltextmaterial recherchiert werden kann. Ab heute wird die taz über eine kommerzielle Datenbank, die Gesellschaft für betriebswirtschaftliche Information in München, der Öffentlichkeit Bit für Bit zugänglich sein.

Die taz als Igel

Sicher, die taz ist dort nicht allein, elektronische Weiterverwertung per Datenbanken bietet heute jede größere Zeitung an. Der kleine Unterschied jedoch: Für die Daten der Vergangenheit ließ zum Beispiel der Spiegel ganze Jahrgänge in China rückwirkend erfassen. Andere scannen mühevoll das eigene Blatt erneut ein. Die Erfahrung der taz in diesem Medium geht aber bereits ins achte Jahr. Es ist wie mit dem Hasen und dem Igel: Die taz ist immer schon da.

Neben den technologischen Aspekten ist auch hier die Erklärung einfach und zugleich bedrückend. Riesige personalintensive Archiv- und Dokumentationsabteilungen werden überflüssig, weil die Datenbanken in Zukunft direkt von jedem Redaktionsbildschirm aus genutzt werden können. Dieser in großen Verlagen anstehende Personalabbau ist ein Problem, das die taz in solchen Dimensionen nie bewältigen mußte.

Zum Mythos taugen technische Revolutionen nicht. Mehr Anlaß zu Mythenbildung als ihre Technik bietet die immer wieder erstaunliche Tatsache, daß die taz immer noch existiert. Andreas Bull

Der Autor ist seit 1991 in der Geschäftsführung und hat zuvor vier Jahre in der technischen Koordination gearbeitet.