Von Bullen und Kannibalen

Die taz im Kampf gegen die Windmühlenflügel der Justiz  ■ Von Johnny Eisenberg

Hunderte von Strafverfahren und tausende von zivilrechtlichen Verfahren sind in den vergangenen fünfzehn Jahren über die taz hereingebrochen, der kaum etwas so wesensfremd ist wie das langsame Mahlen der Mühlen der Justiz. Wichtig und unvergessen bleiben dabei der Kampf um das Recht, in der taz die Umgangssprache der Leser und Betroffenen zu schreiben. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte in den Anfangsjahren eigens einen Mitarbeiter abgestellt, der bei jedem Artikel, in dem die oft treffliche Metapher „Bulle“ für einen Polizisten vorkam, Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung anzettelte. Und das war nahezu täglich, mindestens aber wöchentlich der Fall.

Jahrelang wurstelte die Justiz an diesem Begriff herum, sprach mal frei, verurteilte mal, kämpfte mit den „Kollektivstrukturen“ der taz, in der jeder für alles und keiner für irgendwas verantwortlich war. Die taz wehrte sich nach Kräften, zitierte einen karnevalesken Bullenorden, der nordrhein-westfälischen Bullen vom zuständigen Bullenminister jährlich verliehen wurde, und – sah einen nach dem anderen ihrer presserechtlich verantwortlich zeichnenden Redakteure in die Fänge der Justiz verstrickt. Und das wäre wahrscheinlich bis heute so weitergegangen, wenn nicht irgendwann das als stockkonservativ verschriene Kammergericht dem Treiben Einhalt geboten hätte mit der trockenen Feststellung, daß Begriffe des Bedeutungswandels fähig sind. Durch die eigene Verwendung des Wortes „Bulle“ bei der Verleihung des Bullenordens (das nennt das Kammergericht „sich zu eigen machen“) hätten die Beleidigten, die Bullen also, selbst dazu beigetragen, daß für den Sprachgebrauch weiter Kreise in der Bevölkerung die in der Titulierung als Bulle liegende Beleidigung verlorengegangen sei. Zwar wies das Kammergericht darauf hin, daß damit kein Freibrief erteilt worden sei, Bullen als Bullen zu bezeichnen. Es sprach aber den verantwortlichen Redakteur frei, Az. (4) SS 100/83 (45/82). In Berlin hat es danach kein einziges Verfahren mehr wegen der Verwendung des Wortes Bulle gegen die taz gegeben. Und heute findet sich eher in einem Kammergerichtsurteil die Bezeichnung Bulle als in der taz.

Die taz wollte keine langweilige Tageszeitung sein, sondern verstand sich als Kampfinstrument, das den Mühseligen und Beladenen seine Stimme verlieh und möglichst als Verstärker und Generator diente: Als die Hausbesetzer in Berlin mehr als 170 Häuser besetzt hatten und ausgerechnet die gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat die ersten Häuser mittels einer gewalttätigen Bullenaktion räumen ließ, veröffentlichte die taz einen Aufruf, bis zur Änderung der Wohnungspolitik der Neuen Heimat die Miete auf Sperrkonten zu überweisen. Die Neue Heimat, deren Verkauf für eine Mark an den Bäckermeister Schiesser noch bevorstand, verlangte gerichtlich, diese Veröffentlichung zu unterlassen. Obwohl kein einziger Mieter dem von der Neuen Heimat und den Gerichten so verstandenen Boykottaufruf der taz nachkam, wurde die taz verurteilt – von Kammergericht, BGH und schließlich Bundesverfassungsgericht. Parteilichkeit mit Mietern und Betroffenen einer verfehlten Unternehmenspolitik werde durch das Grundrecht auf Pressefreiheit nicht gedeckt, fanden die Gerichte. Die taz nahm sich's zu Herzen, zahlte 40.000. Mark Prozeßkosten und mußte zusehen, wie erst die Neue Heimat und später die gewerkschaftlichen (Gemein-)Wirtschaftsunternehmen auch ohne jeden Boykottaufruf der taz untergingen.

Im November 1987 hörten staatliche Filzer im Auftrag des Generalbundesanwalts eine Woche lang sämtliche Telefone der Frankfurter taz-Redaktion ab. Die taz hatte auszugsweise einen Brief eines Mannes veröffentlicht, der gesucht wurde wegen der Schüsse auf Polizisten an der Startbahn West, und einen Brief der Mutter dieses Mannes, in dem sie ihn gebeten hatte, mit ihr über die taz Kontakt aufzunehmen. Ergebnis: kein Protest der Journalisten und Verlegerverbände. Ein halbes Jahr vorher hatte sich die Berliner Staatsanwaltschaft nicht entblödet, sämtliche eingehende Post der taz zu beschlagnahmen und richterlich durchschnüffeln zu lassen: Die taz hatte sich neben vielen hundert anderen am Volkszählungsboykott beteiligt. Im selben Jahr fanden mehrere Durchsuchungen von Redaktionsräumen statt, stets außerhalb der den Ermittlern bekannten Geschäfts- und Redaktionszeiten und so, daß möglichst keine Zeugen zugegen waren. Gefilzt wurden Archive, Ablagen und Unterlagen, die erkennbar mit dem Durchsuchungsauftrag nichts zu tun hatten. Hintergrund war auch hier, daß Journalisten ihren Auftrag ernst genommen hatten und sich nicht auf die Verlautbarungen der Sicherheitsbehörden beschränkt hatten bei Berichten über Auseinandersetzungen zwischen Staat und Guerilla (in diesem Falle RZ), sondern eigene Recherchen angestellt hatten.

Waren das noch Zeiten! Eher humorig ging es zu, wenn die taz Riten, Gebräuche und Aberglauben der großen christlichen Religionen zum Gegenstand ihrer Betrachtungen machte. Die Justiz geriet regelmäßig aufs Feld der Realsatire: Zu Ostern 1987 veröffentlichte die taz eine feine Ostergeschichte, bestehend aus einem pseudowissenschaftlichen, aus eurozentristischer Sicht geschriebenen Text über naturreligiösen „Kannibalismus“ und einer bildlich karikierenden Darstellung des heiligen Abendmahls, in dem Gläubige im wahrsten Sinne des Wortes Gottes Fleisch ohne Gebeine seines Sohnes verzehrten.

Brot oder Fleisch?

Ein letztes Bild der Karikaturenfolge zeigt die Gläubigen in ihrer Kirche gut gesättigt vor einem großen Wirtshaustisch, auf dem einige abgenagte Knöchlein lagen. In dem anschließenden Prozeß durch sämtliche denkbaren Instanzen der Berliner Strafgerichte wies die Verteidigung nach, daß bis heute am heiligen Abendmahl Vegetarier nicht teilnehmen können, weil nach der katholischen Lehre sich die Oblate beim Verzehr in richtiges Fleisch verwandelt. Das Gericht mußte sich anhören, daß im 11. Jahrhundert ein Bischof auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, nachdem er gewagt hatte zu bestreiten, daß sich das Brot beim Abendmahle in richtiges Fleisch verwandle, und daß an zahllosen Wallfahrtsorten nach wie vor real blutende Hostien verehrt werden. Einem Freispruch folgte ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, einem weiteren Freispruch die Revision und so weiter. Selbst die sozialdemokratische Justizsenatorin Limbach wollte 1990 den schönen Prozeß nicht beenden, sondern lehnte jede Weisung an die ihr unterworfene staatsanwaltschaftliche Inquisitionsbehörde in dieser Sache ab.

Am Heiligabend 1988 schreckte eine lebensnah gestaltete Bildergeschichte die taz-Leser. Christi Geburt mit Nabelschnur und die Heiligen Drei Könige, die zum Geschenke drei Nägel und ein Kreuzbefestigungshalfter „zum Üben“ mitbrachten und eine heilige Placenta, die Knecht Ruprecht abholte und verwertete. Ein Berliner Kriminalbeamter fühlte sich von Amts wegen in den Personenkreis „derjenigen einbezogen, deren Glaubensfrieden erheblich gestört war“, erstattete Anzeige und führte auch gleich die Ermittlungen. Auch hier konnte die Justiz die gerechte Strafe nicht austeilen, weil sich kein Richter fand, der den Glaubensfrieden des Kripo-Mannes rächen wollte.

taz-Freund Strauß

Franz Josef Strauß war ein großer Freund der taz: Am Tage seines Ablebens verstieg sich ein Kommentator in der taz dazu, zu befürchten, daß Strauß „uns fehlen werde“. Er ahnte vielleicht, daß ein gutes Jahrfünft später selbst sein Ziehsohn Stoiber feststellen würde, daß Strauß kein Heiliger gewesen ist. Ein Staatsanwalt fand jedenfalls damals, daß der Artikel das Andenken von Strauß verunglimpft habe, indem er die Frage aufwarf, ob denn nicht ein chilenischer Genosse des Autors „auch jubeln würde“, wenn Pinochet stürbe. Vielleicht weil der Autor dessen Antwort nicht verschwieg, in der er den Chilenen mit den Worten es otra cosa zitierte, folgte das Gericht dem Staatsanwalt nicht und führte das Verfahren weise in die Verjährung.

Schließlich gern erinnert und daher hier erneut erzählt: Die taz erfreute sich nie besonderer Beliebtheit bei den staatstragenden Institutionen. Erst kürzlich wurde der Pressesprecher des Berliner Verkehrssenators gewalttätig gegen einen taz-Reporter, der uneingeladen zu einem „Hintergrundgespräch“ des Senators erschienen war. Der Pressesprecher versprach, sich zu entschuldigen, vergaß leider zu sagen, wann er das machen werde, und läßt uns bis heute drauf warten.

Vor ihm hat so was schon einmal der damalige Berliner Polizeipräsident versucht: Er lud seit den Tagen der Studentenkrawalle handverlesene Redakteure verschiedener Westberliner Tageszeitungen zu Hintergrundgesprächen ein, weigerte sich aber 1983, die taz ebenfalls zuzulassen, weil „diese sich als Sprachrohr alternativer Bewegungen“ verstehe und „diese stets dazu neigten, Konventionen zu brechen“. Außerdem sei es seine, des Polizeipräsidenten, ganz persönliche Sache, wen er einlade und wen nicht. Das Verwaltungsgericht sah das anders und verurteilte ihn, künftig auch die taz-Vertreter zu empfangen. Das ging dem Mann so nahe, daß er seine mehr als 15 Jahre alte Institution der „Hintergrundgespräche“ aufgab. Nur wenig später jagte ihn die Regierung aus dem Amt. Und was machte er dann? Er gab der taz Interviews, in denen er sich gegen härtere Gesetze gegen Demonstranten aussprach.

Wir sehen, auch Polizeipräsidenten sind des Sinneswandels fähig, um frei das Kammergericht zu zitieren.

Der Autor ist Justitiar der taz und gehört dem Aufsichtsrat der Genossenschaft an.