Beinhart in den Fußballhimmel

Die kickende Hoffnung FC St. Pauli ist auf dem Weg in die erste Bundesliga  ■ Aus Hamburg Jan Feddersen

In den Jubel des Mannes auf der Tribüne mischte sich Entsetzen: „Das darf doch nicht wahr sein. Schon wieder gewinnen. Tabellenzweiter. Aufstieg.“ Das Gestammel nahm kein Ende. Schon wieder ein Sieg, zuletzt gegen Hannover 96 (gestern abend gegen Saarbrücken nach Redaktionsschluß). Und es klang nicht einmal besonders erfreut: Die kaum aufhaltbare Renaissance eines Vereins, dessen Tun und Treiben während dreier Jahre in der ersten Bundesliga Dichter und Folkloristen vor allem linker, autonomer und medialer Provenienz zu schäumenden Elogen getrieben hat, macht nicht jeden Szeneasten froh.

Die Rede ist natürlich vom FC St. Pauli, vom „Freudenhaus“ der Bundesliga, vom „anderen Verein“ oder wie die Attribute sonst noch lauteten, wenn Stammtische zu sprechen kamen auf die Fußballer, die noch kämpfen konnten und ganz zufällig dabei auch noch siegten.

Der FC St. Pauli, das war die kickende Hoffnung aller gutgesinnten Menschen, die mittels sportlicher Erfolge der Millerntormänner ihre Abneigung gegen den DFB, den HSV, überhaupt gegen alles, was nach Reichtum und Geld stank, gleich mit artikulierten. Der auch kulturelle Erfolg hing wohl nicht zufällig mit dem allgemeinen Niedergang der alternativen Szene zusammen: Am Millerntor aber wurde noch gefightet, fast wie im wirklichen Leben – Blutgrätschen statt Hausbesetzertriumphe.

Im Sommer 1991 mußten die St. Paulianer absteigen – was manche Fans nur als gerechte Strafe für zuviel Kollaboration mit dem Feind – der Bundesliga schlechthin – empfanden. Acht Millionen Mark Schulden waren das Ergebnis des dreijährigen Abenteuers in höchsten Gefilden. Aber was wurden sie geliebt, vor allem von den Medien: Man lebte nur zu gut vom Image des Besonderen, in der eigenen Stadt vor allem von der sorgsam gepflegten Distanz zum Konkurrenten HSV: David gegen Goliath.

Seitdem gab der FC St. Pauli in der Zweiten Bundesliga eine eher durchschnittliche Figur ab: Der angepeilte sofortige Wiederaufstieg ward jämmerlich verfehlt. Doch seit kurzem haben sich die Verhältnisse gewandelt. Mit vier Punkten Abstand zum ersten Nichtaufstiegsplatz (1860 München) rangieren die Hamburger auf Platz zwei. Noch im Herbst sah es ganz danach aus, als würde am Millerntor ein Kult ohne Inhalt betrieben: Mit 11:15 Punkten drohte die Mannschaft derart abzuschiffen, daß selbst hartgesottene Freunde der wie immer minderen Spielkultur auf St. Pauli mit einem Abstieg in die Amateurliga rechneten. Präsident Heinz Weisener drohte, den Trainer zu feuern, wenn sein Team nicht vier Punkte aus den nächsten beiden Partien holen würde.

Es wurden derer nur drei, aber Dieter Schlindwein, ein Verteidiger, der seit dem Abschied des Mittelfeldmanns Peter Knäbel den unumschränkten Leithammel der Elf verkörpert, sorgte für Seppo Eichkorns Verbleib. Womöglich ist es kein Zufall, daß gerade ein eisenharter Mann wie „Schlind“ den neuen Häuptling in der Mannschaft abgibt: Bei jedem anderen Verein würde das Publikum sich mit Grausen abwenden ob seines an die Feinfühligkeit eines Metzgers erinnernden Tuns. Aber am Millerntor wird so einer als leader of the pack respektiert.

Seitdem sammelte die Mannschaft 24:4 Punkte in Folge. Und Fußballästheten werden es kaum für möglich halten: Der FC St. Pauli steht nicht zufällig auf dem zweiten Platz. Recht ansehnlich sah sein Gekicke aus gegen Hannover 96 – wie schon einige Spiele zuvor, bei denen das Wunder geschah und die Pauli-Elf manche Spielidee auch tätsächlich umzusetzen vermochte.

Inzwischen haben sich auch Hamburgs Medien auf die Wiedergeburt einer Legende eingeschrieben. „Der Höhenflug des FC St. Pauli“, staunte das Hamburger Abendblatt, setzte Tage später sogar nach mit der schicksalhaften Zeile: „Zum Aufstieg verdammt.“

Die höchste Spielklasse dürfte sich auf manche Déjà-vu-Erlebnisse einrichten: Das Fernsehen wird sich daran erinnnern, wie verkaufsträchtig doch der Artikel namens „Freudenhaus“ Einschaltquoten erzielt, Zeitungen werden den Mythos bekräftigen – sowieso. Sogar die Schwächen des Klubs sind die gleichen geblieben: Der Rasen ist holperig wie eh, und die Finanzen so marode wie je (acht Millionen Mark Miese). Was wird es wieder für Schlagzeilen machen, wenn die Funktionärsentourage der Bayern aus München mit Kleingeld beworfen wird – als ironische Geste wider die Geldgeilheit der Fußballgrößen.

Und doch: Die Mannschaft hat sich im Laufe der vergangenen drei Jahre mehr gewandelt als eben jener FC Bayern. Schon im letzten Erstligajahr waren Mißtöne auf der „Paadie“ (hamburgisch für: Fest) spürbar. Eigene Spieler wie Klaus Ottens wurden mit Pfiffen bedacht, wenn sie wieder einmal einen Paß versiebten – als ob gerade dieser jemals etwas anderes konnte als kämpfen, kämpfen und kämpfen.

Die Anfeuerungschöre sind leiser geworden. Die Helden von einst kommen nicht mehr, sind nicht mehr im Kader oder kümmern sich um kleinbürgerliche Dinge wie den Bau eines Reihenhauses – was insbesondere für den Tormann Volker Ippig gilt, der noch zu Erstligazeiten unverhohlen kundgab, keine rechte Lust mehr zu haben, genug sei genug. Nur noch Dirk Zander ist noch dabei, Kämpe seliger Tage. Doch auch er scheint müde geworden: eine leichte Zerrung, die ihn früher extra motivierte, wirft ihn gleich auf die eigene Couch.

Die Namensliste des FC-St.- Pauli-Kaders liest sich wie ein Konglomerat andernorts gescheiterter Kicker. Männer freilich, die pflichtgemäß der Folklore des Vereins ihre Referenz erweisen und beispielsweise wie Torjäger Markus Marin, erklären, ganz besonders stolz zu sein, am Millerntor zu spielen. Dabei wissen Spielervermittler nüchtern zu berichten, daß Marin keine Wahl hatte: kein anderer Vereine wollte ihn.

Auch die Fans scheinen unter Konditionsproblemen zu leiden. Aufschreie des Entsetzens bei Gegentoren bleiben moderat, der Jubel über Treffer der eigenen Equipe klingt nicht mehr so hysterisch wie ehedem. Dennoch, ein nüchterner Mensch wie Sven Brux, Leiter des St.-Pauli-Fanladens, gibt sich als Sportrealo, wie ein Grüner, der um Berücksichtigung bei der Besetzung von Regierungsposten bittet: „Äußerst erfreulich wäre es, wenn wir aufsteigen würden.“ Geld? Kein Problem: „TV- Gelder gibt es genug“, sagt er.

Er weiß, daß manche aus dem Fanmilieu schon vom FC St. Pauli als „Leipzig von morgen“ sprechen, andere unken, daß die Hamburger in der nächsten Saison im Oberhaus die Rekordschwächlinge von Tasmania Berlin unterbieten werden (8:60 Punkte, 15:108 Tore).

Brux will von alledem nichts wissen: „Die Paadie geht weiter. Vielleicht erhaschen wir zwei Übertragungen von ,Premiere‘. Kann sein, daß auch die Stimmung wieder besser wird.“ Weisner, der noch vor Jahresfrist beteuerte, kein Geld mehr in den Verein zu investieren („Ich muß an meine Altersversorgung denken“), hat schon erklärt: „Ich lasse den FC St. Pauli niemals im Regen stehen.“ Warum auch – das Abenteuer Bundesliga übt auf machtkeusche Autonome wie auf echte, reiche Hanseaten mit Sympathien für die CDU einen Reiz aus, dem sich am Ende niemand entziehen mag.