Reiz des Unfertigen

Der nördliche Oberspreewald: Vorzeigeorte und Heruntergekommenes  ■ Von Ralf Richter

Ein echter Geheimtip für Naturliebhaber ist das ehemalige NVA-Übungsgelände hinter dem nahen Dorf Butzen. Durch die jahrelange militärische Absperrung konnte hier eine einzigartige ökologische Nische entstehen. Da dieses Gebiet in keinem Reiseführer erwähnt wird, sollte man sich aus Sicherheitsgründen bei den Einheimischen nach dem besten Zugang erkundigen.

„Bäuerliches Venedig“

Besonders reizvoll ist ein Ausflug nach Lehde, einige Kilometer südlich von Straupitz bei Lübbenau gelegen. „Ein bäuerliches Venedig, die Lagunenstadt im Taschenformat“, nannte Fontane das Dorf. Der gesamte Ort steht unter Denkmalschutz.

Die vorwiegend aus Blockhäusern bestehenden Gehöfte liegen malerisch auf kleinen Inseln. Jedes hat seinen eigenen Hafen, das sogenannte „Gäßchen“. Hier befindet sich auch ein Freiluftmuseum mit Beispielen für die alte Spreewaldbauweise.

Verglichen mit einem solchen Vorzeigeort wirken viele Dörfer des nördlichen Spreewaldes äußerlich ziemlich heruntergekommen. Die DDR-Vergangenheit der Region springt sozusagen ins Auge. Dementsprechend ist die touristische Infrastruktur zwar größtenteils ausreichend, aber keinesfalls mit dem vielfältigen Angebot entsprechender Westregionen vergleichbar. Für manchen „Wessi“ mag aber gerade in dieser Unvollkommenheit ein Reiz liegen.

Im schattigen Kastaniengarten

Wer nach langen Wanderungen hungrig geworden ist, braucht auch in Straupitz nicht zu darben. Die Gaststätte „Jagdschlößchen“ bietet neben dem behutsam restaurierten historischen Ambiente auch einen schattigen Kastaniengarten. Auf der Karte findet man, wie in vielen Gaststätten der Gegend, auch spreewaldtypische Gerichte zu passablen Preisen. Die Auswahl für Vegetarier ist allgemein sehr beschränkt.

Für Übernachtungen ist zu empfehlen, sich aus dem örtlichen Gastgeberverzeichnis ein Privatquartier auszuwählen. Die vorhandenen Gasthöfe sind funkelnagelneu und dementsprechend unpersönlich.

Die Anreise erfolgt mit Auto oder Bahn. Jeweils über Lübben ist man eine gute Stunde unterwegs. Informationen beim Fremdenverkehrsbüro Straupitz, Kirchstraße 11 oder Fremdenverkehrsverein Lübben, Lindenstraße 14 (Tel.: 03546/3090).

Als Lesetip sei der „Tourismusführer Spreewald“ empfohlen.

Der Spreewald ist „in“. Fast jeder hat von diesem Berliner Naherholungsgebiet schon einmal gehört. Üblicherweise denkt man dabei an Kahnfahrten und den damit verbundenen Trubel in den Zentren Lübben und Lübbenaus, die Sommer für Sommer von Bussen und Reisegesellschaften regelrecht überschüttet werden. Nur wenige Kilometer nordöstlich, am Nordrand des Biosphärenreservates Spreewald, ist davon nichts mehr zu spüren. Wer wirklich abschalten will, liegt hier richtig. Als Anlaufpunkt für eine Tagestour von Berlin aus bietet sich Straupitz an, mit 1.300 Einwohnern die größte Gemeinde der Gegend. Weithin sichtbar prägen die Türme der kürzlich restaurierten Schinkelkirche die umgebende Landschaft. Der riesige klassizistische Bau aus dem Jahr 1832 gibt der ländlichen Gegend ein fast italienisches Flair. Hier finden an jedem ersten Sonntag im Monat Kirchenkonzerte statt. Das 700jährige Bestehen wird dieses Jahr weitere Veranstaltungen bescheren.

Am ehemaligen freiherrlichen Schloß beginnt der zwölf Hektar große Park mit vielen Teichen und Fließen. Die etwa halbstündige kleine Kahnfahrt, die man hier unternehmen kann, läßt an einem stillen Sommerabend noch etwas von der ursprünglichen Spreewaldromantik erahnen. Wer eigene Wege gehen will, sollte sich festes Schuhwerk einpacken. Ein umfangreiches Netz von markierten Wanderwegen führt in touristisch nur wenig erschlossene Gebiete. Der örtliche Fahrradverleih mußte mangels Nachfrage wieder schließen. Fußmüden Großstädtern stehen aber Reitpferde und Kutschen zur Verfügung. Vom Park aus bietet sich eine Wanderung zum „Bytna“ an. Das ist ein Hain uralter Eichen, die in wendischer Zeit als heilige Opferbäume verehrt wurden. Die sogenannte Florentina-Eiche ist so mächtig, daß sie selbst zwölf Menschen nicht mit ihren Armen umfassen können.

Auf dem Rückweg ins Dorf passiert man die beiden „Dutzend- Seen“. Am Ufer des größeren, auch „Straupitzer See“ genannt, findet man ein 14 Hektar großes Feuchtbiotop, in dem viele seltene Pflanzen und eine reiche Tierwelt gedeihen. Badeseen sucht man hier allerdings vergeblich. Geeignetere gibt es, etwas weiter entfernt, etwa bei Goyatz.