Geld, Fleisch, Medien

Die Hölle ist voller Maschinen – eine Ausstellung über das Jenseits im Mittelalter  ■ Von Valentin Groebner

Der Mann, der den Bischof von Pamiers im Februar 1320 zum Verhör lädt, hat was zu erzählen. Er verkehre öfters mit den Toten, gibt er zu Protokoll: Unlängst habe er mit ihnen zusammen im Haus eines Bekannten ein Faß Wein leergetrunken. Die Toten führen ein anstrengendes Leben, sagt er. Sie seien dazu verdammt, ständig von Kirche zu Kirche zu gehen, was ihnen mit ihren alten Knochen große Mühe mache, sie würden dabei stolpern und hinfallen. Diejenigen, die im Leben weniger gesündigt hätten, dürften wenigstens langsam gehen; am schlimmsten sei es für die Wucherer, die müßten ständig rennen.

Diese und noch mehr Nachrichten aus dem Jenseits sind in der Ausstellung „Himmel, Hölle, Fegefeuer“ im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich und anschließend in Köln zu besichtigen. Die Zeugenaussage ist dabei nur ein Beitrag zu der bewegten Debatte, die die mittelalterlichen Theologen um das Leben nach dem Tod geführt haben – allerdings ein reichlich unorthodoxer, und sie bringt ihren Erzähler ins Gefängnis.

Was geschieht mit den Verstorbenen? Gleich in den Himmel? Gleich in die Hölle? Und was passiert mit denen, die, wie Augustinus so schön schreibt, non valde boni sind, nicht ganz so gut?

Für sie wird das Fegefeuer eingerichtet: Nachdem die Sünder dort durch angemessene Qualen von ihren Missetaten gereinigt worden sind, dürfen auch sie schließlich in den Himmel fahren. In demselben Jahr, in dem Papst Benedikt XII. diese Doktrin feierlich verkündet, läßt sich die Florentiner Bankiersfamilie Bardi ein teures Wandbild in die Kirche Santa Croce malen – mit dem zerknirschten Bankdirektor Rudolfo vor dem richtenden Christus.

Investitionen in solch fromme Werke und Fürbitten auf Erden, so die Theologen, helfen die Zeit im Purgatorium abkürzen. Das erfinderische späte Mittelalter, das bereits Währungsspekulation, Termingeschäfte und internationale Bankenkrachs kennt, läßt sich zu dieser Seelenrettungsökonomie allerhand einfallen: Von der preiswerten Kollektivversicherung in religiösen Bruderschaften bis zu großen Investmentfonds fürs Jenseits.

Und das will kalkuliert sein. In der Ausstellung ist der gedruckte Romführer zu sehen, in den ein deutscher Pilger des Jahres 1500 Berechnungen gekritzelt hat: Wieviel Jahre Ablaß von der Fegefeuerstrafe hat er mit seinen Gebeten vor den römischen Sehenswürdigkeiten verdient? Der Mann ist vom Fach, er benutzt dazu die modernste Rechenmethode seiner Zeit – die Notiz ist einer der frühesten Belege für die Multiplikation von arabischen Ziffern – und kommt auf 17.422 Jahre, die er im Jenseits weniger leiden muß.

So tröstlich diese Art von Genauigkeit sein mag, die Investoren des Mittelalters setzen nicht nur auf exakte Kontoführung, sondern ebenso auf Visualisierung und Public Relations, um ihre frommen Stiftungen augenfällig zu machen. Schließlich muß um Fürbitten für den Toten geworben werden. Und das geschieht mit ungewöhnlich akkurater High-Tech: Die harten Kontraste und strahlenden Farben der Ölmalerei auf Holz sind eine spektakuläre Erfindung des späten Mittelalters. Für die Andachts- und Stifterbilder werden sie zu knalligen medialen Zeichengewittern verdichtet, am spektakulärsten in der populären „Messe des Hl. Gregor“: Blonde Engel, blutige Schinderwerkzeuge, aufgesperrte Höllenrachen, arme Seelen und mittendrin der geschundene nackte Mann Christus. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird im 15. Jahrhundert hyperreal gemalt, hat der Kunsthistoriker Michael Camille einmal geschrieben. Die Maler lesen die theologischen Traktate fleischlich: The word turns flesh.

Von diesem Fleisch ist in der Ausstellung eine ganze Menge zu sehen. Christus läßt Blut aus seiner Seite fließen, Maria zeigt ihre Brüste, und auf dem schönen Tafelbild von Goossen van der Weyden fangen Engel das Blut und die Milch Marias auf und gießen beides mildtätig auf die Köpfe der armen Seelen, die im Fegefeuer geröstet werden. Die Hölle ist dagegen ein wüster technologischer Ort, in dem es keinen solchen Trost für den Körper mehr gibt: Feuer, Blasebälge, Öfen, Mühlen, fliegende Monster und menschenfressende Maschinen.

Dabei gibt es auf der Reise nach diesen mehr oder weniger endgültigen Orten Gegenverkehr: Auch die Toten sind unterwegs. Der heilige Fridolin holt den verwesten Klosterstifter Urso aus dem Grab, damit der vor Gericht die Rechtmäßigkeit einer Stiftung bezeugt, Hand in Hand mit ihm, wie ein Bild zeigt, oder noch schöner, als holzgeschnitzte Figuren – der Heilige legt dem Leichnam dabei vertraut die Hand auf die knochige Hüfte. Der Historiker Jean-Claude Schmitt hat unlängst gezeigt, wie an den zurückkehrenden Toten, den Gespenstern und Wiedergängern die mittelalterliche Theorie von Bild, Abbild und Widerschein des Menschen formuliert wird: Man muß den echten Toten von der täuschenden Illusion unterscheiden. Auch Belial, der bekannteste höllische Besucher im späten Mittelalter, ist in der Ausstellung in Rechtssachen unterwegs: Er klagt Christus des Diebstahls an, weil der widerrechtlich Adam, Eva und die Kirchenväter aus der Hölle geholt habe. Die Gespenster, lernen wir, sind immer Zeugen und Verfolger, jedenfalls Ordnungshüter – ein juristisches Phänomen.

Bei soviel Augenlust und Medienpracht ist die begehbare Jenseits-Topographie, die die Ausstellung verspricht, eher brav ausgefallen: Man wollte offenbar niemanden erschrecken. Dabei könnten Mittelalterausstellungen so spannend sein. Wenn es nicht diese unsäglichen Katalogvorworte gäbe. „Durch welche neuen Welten wurde dieses verlorene Jenseits heute ersetzt?“ fragt sich da der Direktor fromm, „Sind es diesseitige oder jenseitige?“ Nein, rückseitige: Gleich hinter dem pittoresken Schweizerischen Landesmuseum versperren Gitter und Stacheldraht den Zugang in die gesäuberte Fixerzone Platzspitz; schnauzbärtige Uniformierte patroullieren an der Straßenbahnhaltestelle und scheuchen die Junkies weg. Vielleicht, denkt sich der Besucher, ist Zürich mit seinen Banken, Bildern und Gespenstern als Ganzes so eine Art Fegefeuer.

„Himmel, Hölle, Fegefeuer“ ist bis 29.5. im Schweizerischen Landesmuseum Zürich und vom 20.6–28.8. im Schnütgen-Museum Köln zu sehen. Katalog 48 sFr.