Inszenierung der Jugend

■ Geschlechterdifferenz bei Teenagern: Jungen und Mädchen suchen ihre sexuelle Identität

Jugendliche verarbeiten die Probleme ihres Heranwachsens zu Mann oder Frau in kulturellen Körperpraktiken. Sie rauchen, trinken, nehmen Medikamente oder illegale Drogen und entwickeln Eßstörungen. Sie schaffen sich eine eigene Welt als kollektiven Stil oder durch individuelle, symbolisch bedeutsame Handlungen. Dabei inszenieren sie unter- und aneinander Geschlechtsidentität, proben also das Mann- oder Frausein. Die Jugendlichen übernehmen dabei nicht nur erlerntes Verhalten, sondern wählen sich ihre Verhaltensweisen und Szenen selbst. Manche dieser vielen möglichen „imaginären Lösungen“ liegen dabei jedoch (abhängig von sozialem Status und Geschlecht) näher als andere. So bestätigen sich vor allem männliche Auszubildende vermeintliche „Härte“ und Mannhaftigkeit beim ritualisierten Konsum hochprozentigen Alkohols. Zu Magersucht als symbolischem Ausdruck der Körperbeherrschung neigen dagegen eher Mädchen mit höherem sozialen Status.

Das sind zentrale Thesen der Freiburger Medizinsoziologin Cornelia Helfferich, die in ihrem Buch „Jugend, Körper und Geschlecht“ die Suche von Jugendlichen nach sexueller (das heißt: männlicher oder weiblicher) Identität schildert. Sie versucht dabei verschiedene, bisher eher isolierte Diskussionsströme aus Jugendsoziologie, Gesundheitsforschung und der feministischen Theorie zusammenzufassen.

Zwar kamen auch die bisherigen Vorstellungen in Jugend- und Suchtforschung nicht mehr an der Erkenntnis vorbei, daß es männliche und weibliche Jugendliche gibt. Doch entweder glauben WissenschaftlerInnen, die Kategorie des Geschlechts wieder vernachlässigen zu können, weil aus einem Prozeß der Angleichung vorschnell baldige Egalität abgeleitet wird. Oder man bleibt Rollenklischees verhaftet, die auf unveränderbaren körperlichen Merkmalen von Frau und Mann gründen. Für Helfferich hat diese Gedankenlosigkeit nur einen Grund: Man will sich nicht mit den sozialen Bedingungen der Sozialisation der Geschlechter beschäftigen.

Auch der Entwicklungspsychologie attestiert Helfferich einen halbherzigen Umgang mit dem Geschlechterverhältnis. Zwar wird dort die „Aneignung von Verhalten, das man in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. einer Frau erwartet“, als eine von zahlreichen zu absolvierenden „Entwicklungsaufgaben“ benannt. Daß aber die Lösung der übrigen dieser Aufgaben (etwa die Abtrennung vom Elternhaus oder die Ausprägung eines eigenen Wertesystems) keineswegs geschlechtsneutral erfolgt, fällt dabei unter den Tisch. Helfferich verweist dagegen auf die amerikanische Soziologin Carol Hageman-White, die nachgewiesen hat, daß wir in einer „Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ leben, in der eben jedes menschliche Verhalten unter diesem Gesichtspunkt bewertet wird.

„Die Schwierigkeit zu erklären, warum Jungen mehr soziale Macht bekommen und Frauen so offen verachten dürfen, liegt in der Frage, warum die Mädchen es ihnen erlauben. Die Schwierigkeit zu erklären, wieso Mädchen sich mit einer unterlegenen Position bescheiden, liegt in der Frage, warum sie es sich erlauben.“ Helfferichs Buch will die Prozesse reflektieren, in denen die soziale Differenz zwischen den Geschlechtern immer wieder neu hergestellt wird. Dies sei auch Aufgabe einer Jugendarbeit, „die die emanzipativen Potentiale in der Jugend fördert“.

Das Material für ihre Sozialisationstheorie hat sie sich „ausgeborgt“: Studien über Jugendalkoholismus, Drogen, Magersucht, Medikamentenmißbrauch, ja sogar über das Mädchen-Kunstturnen filterte sie im Hinblick auf ihre eigene Fragestellung. Nebenbei liefert das Buch so auch einen guten Überblick über verschiedene Jugendszenen und das zugehörige „Problemverhalten“. Allerdings ist dieser Zusatznutzen dadurch beschränkt, daß die Datenlage zur Situation in den ostdeutschen Bundesländern und zu neueren Entwicklungen wie z.B. dem Aufkommen von „Skinheads“ oder türkischen Jugendgangs eine Berücksichtigung in Helfferichs Buch noch nicht erlaubte. Christian Rath

Cornelia Helfferich: „Jugend, Körper und Geschlecht. Die Suche nach sexueller Identität“. Leske + Budrich 1994, 228 S., 29,80 DM