Das Prof-Kartell knacken

Mehr Mitsprache, Recht auf Ausbildung und materielle Absicherung – dann akzeptieren Studenten die Pflichten eines Bildungsvertrags  ■ Von Jochen Geppert

Die Proteste des Wintersemesters haben die seit 20 Jahren aufgelaufene Misere mal wieder sichtbar gemacht. Und wenn die JournalistInnen und ihre LeserInnenschaft keine Lust mehr haben, kommt alles wieder ab in die Verdrängung. Proteste, die sich gegen den organisierten Zukunftsklau richten, können in dieser Form höchstens ein kleines Hochschulsonderprogramm herauskitzeln. Damit wird dann weitergewurstelt, und alles bleibt, wie's war.

Das einzig Faszinierende an der derzeitigen Situation ist, daß die jungen Menschen in den Hochschulen überhaupt etwas lernen, ohne ständig zu revoltieren. Das liegt einerseits sicher daran, daß D'land immer schon das Land der unbegenzten Zumutbarkeiten war. Anderseits kriegt der bürokratisch-geistlose Massenbetrieb den Zugriff auf den einzelnen gar nicht mehr organisiert und stellt damit ein dem Rest der Gesellschaft nicht unähnliches Trainingsfeld dar. Wenn jetzt mit weiteren Disziplinarmaßnahmen eine betriebswirtschaftliche Logik durchgesetzt wird, sind auch diese individuellen Bewältigungsmöglichkeiten verstellt.

Faszinierend, daß die Dauerrevolte ausbleibt

Je unrealistischer es wird, sich die Grundlage für das Konsum-Glück anzueignen, desto größer wird die Notwendigkeit, den gesellschaftlichen Sektor als Veränderungsfeld zu besetzen. Es reicht nicht, auf bessere Zeiten zu warten. Wir sollten uns Zeit nehmen, erwachsen zu werden: uns aus der TV-Hypnose zu lösen und zu lernen, hinter den Bildschirm zu schauen. Da wird dann sichtbar, daß gesellschaftliche Teilhabe und verantwortlicher Einfluß auf die eigene Zukunft notwendig ist denn je. Und wenn die taz versucht, den nächsten Studiprotest herbeizuschreiben, dann sage sie den Leuten: Es wird kein Spaziergang!

In der Hoffnung auf einen langen Atem und daß die CDU in die untere Hälfte des 30%-Ghettos abstürzt, hier ein paar Vorschläge, an denen sich eine demokratische Hochschulreform orientieren sollte. Dabei sollten folgende Bereiche unterschieden werden: demokratische Organisation von Lernprozessen, demokratischer Zugang zu Bildung, demokratische Kontrolle von Wissenschaft.

Auch wenn die Forderung schon über 30 Jahre alt ist und selbst wohlwollende Reformer nur müde abwinken, bleibt es zur Einrichtung dynamischer, problemorientierter Lernprozesse notwendig: Das Professorenkartell mit seinem ignoranten Besitzstandsdenken muß geknackt werden. Dieser Trust ist aber bestens verbunkert durch das Verfassungsgerichtsurteil von 1973. Da die Sprüche der roten Roben in dieser unserer blühenden Landschaft aber politischer Stahlbeton sind, sollte von Anfang an klar sein, daß sich strukturell unterhalb einer Verfassungsänderung kaum etwas bewegen wird. Darum sollten wir genau das anpeilen; eine Grundgesetzänderung, die auf der Idee fußt:

– daß erstens Professoren nicht die einzigen Subjekte sind, auf die das Grundrecht von freier Forschung und Lehre anwendbar ist;

– daß zweitens Professoren nicht die Subjekte des Lernens sind, bloß weil sie lehren. Auch ein freies Studium ist Grundrecht.

Wenn auch Professoren darauf angewiesen wären, einen produktiven Interessenausgleich mit den übrigen Universitätsmitgliedern zu finden, könnte gemeinsame Kreativität freigesetzt werden.

Ausbildung für 5.000 junge Obdachlose

In bezug auf einen demokratischen Hochschulzugang ist aber durch die Änderung von Gremienmehrheiten noch nicht viel gewonnen. Deshalb müßte im folgenden als gesellschaftliche Aufgabe und Individualrecht ein Recht auf eine Ausbildung festgeschrieben werden. Allein in Westberlin gibt es 5.000 obdachlose Jugendliche, denen diese Gesellschaft von Anfang an die minimale gesellschaftiche Teilhabe und sogar die Perspektive darauf verweigert. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der partiellen Schließung der Hochschulen. Wenn diese unsere spätkapitalistische Gesellschaft schon nicht jedem Menschen garantieren will, daß er eine Möglichkeit hat, seine Arbeitskraft zu verkaufen, ist das Recht auf eine Ausbildung und damit eine Zukunftsperspektive das absolute Minimum, das sie garantieren müßte, um sich noch sozial schimpfen zu können.

Weil ein solches Recht ohne eine materielle Absicherung aber nicht das Papier wert ist, auf dem es steht, brauchen wir eine Studienfinanzierung, die nicht auf Blutrecht, konservativer Familienideologie und damit verbundener Sippenhaft basiert (Bafög, Kindergeld, Steuerfreibeträge, etc.). Der einzelne müßte selbst die Verantwortung für seine Lebensplanung in die Hand bekommen – das Risiko tragen wir sowieso. Dafür wäre den Studierenden dann auch zuzumuten, im Hauptstudium für ihre Hochschule zu arbeiten. Ein solcher echter Ausbildungsvertrag würde ganz andere Verbindlichkeiten für beide Seiten erzeugen.

Insgesamt müssen die finanziellen Aufwendungen für den Bildungssektor verdoppelt werden. Bei dem bescheidenen Umfang, den die Bildungsausgaben im Bruttosozialprodukt noch ausmachen, ist das eine völlig realistische Forderung.

Wer sich bescheidenere Ziele setzt, sollte es gleich lassen.