■ Der eigentliche Kern des Oslo-Abkommens: In Palästina wird ein „Homeland“ errichtet
: Okkupation ist nicht neutral

Während die Protektorate Südafrikas in einem Prozeß der demokratischen Umwälzung abgeschafft werden, errichtet man derzeit ein solches „Homeland“ in Palästina. Auch dieses wird eine starke Polizei haben – unter israelischer Aufsicht natürlich. Das Abkommen von Oslo, unterschrieben in Washington am 30. September 1993, hat die Übergangsphase wiederum in zwei Phasen geteilt, und die Palästinenser sowie die Israelis ringen immer noch in Kairo um die Vorbereitungen für die erste Phase. Israel beißt sich an Detailfragen fest, nichts ist selbstverständlich, und alles muß dem drakonischen Begriff der Sicherheit Israels untergeordnet werden.

Vieles wurde über Oslo gesagt: 1.) Dieses Abkommen verschiebe jede wichtige Frage wie die Füchtlingsfrage, die Siedlungen, die Souveränitätsfrage, Jerusalem etc. 2.) Es gebe keine Klarheit über die Natur der sogenannten dauerhaften Lösung der Palästinafrage. 3.) Es sei kompliziert und undurchführbar. 4.) Israel wolle Gaza loswerden, aber Gaza sei nicht geeignet, ein erforderliches Modell abzugeben.

Die wirkliche Transformation nach Oslo wurde jedoch kaum erwähnt: Die Okkupation existiert weiter, doch sie wird von der Tagesordnung gestrichen. Zugleich wird eine Scheinsymmetrie zwischen zwei Seiten erzeugt, mit Moderaten und Extremisten auf „beiden Seiten“, wobei die Teilung von Moderaten und Extremisten nicht nach der Position für oder gegen die Okkupation vollzogen wird, sondern sich an der Position für oder gegen Oslo festmacht.

Nach dem Massaker in Hebron vom 25. Februar 1994 trat diese Transformation klar zutage. Wir finden hier folgende Gedankengänge und Verarbeitungsmechanismen: 1.) Der Täter wird vom Kollektiv ausgeschlossen, und damit wird das Kollektiv gereinigt: „Mit seiner Tat hat er sich aus dem jüdischen Volk ausgeschlossen.“ (Rabin, einen Tag nach dem Massaker) 2.) Eigentlich hat der Täter sein Verbrechen gegen das jüdische Volk verübt. Damit monopolisiert Israel die Opferrolle. 3.) „Wir haben jetzt eine israelische Hamas unter uns.“ Das absolute Böse ist der andere; unser Böses wird im Vergleich zum anderen relativiert und auch nach ihm benannt.

Aber das hauptsächliche politische Verarbeitungsmuster bleibt bestehen: „Extremisten beider Seiten“ richten sich gegen das Oslo-Abkommen. Die Gewalt zugunsten der Fortsetzung der Okkupation und die Gewalt wider die Okkupation werden gleichgesetzt. Wenn aber der Unterschied zwischen der Gewalt der Besetzten und derjenigen der Besatzer verwischt wird, ist dies nicht nur ein Fehler in der Wirklichkeitswahrnehmung, sondern es bedeutet auch das Ende der moralischen Grundlage des Kampfes gegen die Unterdrückung (Erniedrigung), die da Okkupation heißt.

Und gerade das tut das Oslo-Abkommen, indem es die Kräfteverhältnisse zwischen „zwei Seiten“ als Basis und Richtschnur der Lösung anerkennt – und nicht Völkerrecht oder Gerechtigkeit. Das Kräfteverhältnis zwischen Israel und Palästinensern, wenn dieser Begriff in diesem Kontext überhaupt eine Bedeutung hat, erzeugt keinen palästinensischen Staat, kein Selbstbestimmungsrecht und keine Ende der Okkupation. Es wird auch nach dem hypothetischen Erfolg des Gaza-Jericho-Modells keinen palästinensischen Staat erzeugen.

Aber auch wenn der palästinensische Staat aussichtslos wird, bedeutet dies nicht, daß die Palästinenser auf Gerechtigkeit verzichten werden. Vielleicht aber nimmt die Gerechtigkeit eine andere Form an. Wir sollten uns daran erinnern, daß die „Homelands“ Südafrikas sich nicht zu Staaten entwickelt haben, sondern mit dem Ende der Apartheid auch zusammenbrachen. Azmi Bishara

Professor für Philosophie an der Universität Bir Zeit in der Westbank