Schulterklopfen in Marrakesch

■ Abkommen der Uruguay-Runde gebilligt / Welthandelsorganisation beschlossen / Zölle künftig deutlich niedriger / Protektionismus droht weiter

Marrakesch (AFP/AP/dpa/taz) Die Minister der 124 Mitgliedsstaaten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) haben gestern in Marrakesch die Abkommen der Uruguay-Runde des Gatt gebilligt. Mit einem Hammerschlag besiegelte der Präsident der Ministerkonferenz, der uruguayische Außenminister Sergio Abreu Bonilla, die Annahme des 22.000 Seiten starken Werks. Die Minister feierten mit minutenlangem Applaus den Abschluß der Verhandlungsrunde, die vor mehr als sieben Jahren in Uruguay begonnen hatte. Das Abkommen sieht eine in der Geschichte bisher einmalige Liberalisierung des Welthandels vor. Die Zölle sollen um durchschnittlich 40 Prozent gesenkt werden, außerdem soll am 1. Januar 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) an die Stelle des Gatt treten.

– Konkret enhält das neue Gatt- Abkommen zwei Dutzend Einzelregelungen sowie rund 20.000 Seiten Zoll-Listen. Außerdem verpflichtet es die Unterzeichner, die Ratifikation des Abkommens über die Welthandelsorganisation (WTO) einzuleiten.

– Hinzu kommt ein Abkommen über den freien Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen. 22 Staaten wollen es unterzeichnen.

– Abkommen über Milchprodukte, Rindfleisch und Zivilluftfahrt. Die Verträge sind älteren Datums, sie wurden nun dem in sieben Jahren ausgehandelten neuen Gatt-Abkommen angepaßt.

Höhepunkt war die beschlossene Gründung einer Welthandelsorganisation. Sie soll dem Handel mit Waren, Dienstleistungen und Wissen einen festen weltumspannenden Rahmen geben. In der internationalen Handelspolitik wird die WTO zu einer dritten Säule, neben der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich Ökonomen für die Idee stark gemacht, doch legten die USA ihr Veto ein.

Die drei wesentlichen Bereiche sind dabei der Handel mit Waren (Gatt), der Handel mit Dienstleistungen wie Versicherungen und Tourismus und der Bereich geistige Eigentumsrechte; zu ihnen zählen etwa Patente. Daneben wird die WTO zuständig sein für einige mehrstaatliche Abkommen, die nicht direkt in die Uruguay- Runde gehören, darunter Regelungen zur Zivilluftfahrt, zu öffentlichen Ausschreibungen, Milchprodukten und Rindfleisch. Zudem haben sich die 125 Vertragsstaaten auf ein Komitee geeinigt, das sich in den kommenden Jahren mit dem Thema „Handel und Umwelt“ befassen kann. Oberste Instanz der WTO ist eine Ministerkonferenz, die mindestens alle zwei Jahre tagen soll.

Die Tagesgeschäfte führt ein allgemeiner Rat, der Entscheidungen je nach Tragweite mit einfacher, Zweidrittel- oder Dreiviertelmehrheit trifft. Angestrebt wird allerdings Einstimmigkeit. Unterhalb dieser Ebene wirken drei Räte in den Hauptbereichen Gatt, Tourismus und geistiges Eigentum.

Jeder Mitgliedsstaat hat eine Stimme in den Gremien, die zunächst den Unterzeichnern des WTO-Abkommens offenstehen. Aber auch andere Länder können Mitglied werden. Es gilt als sicher, daß die WTO in Genf bleibt. Die Leitung der WTO übernimmt ein Generaldirektor, der von der Ministerkonferenz gewählt wird. Das WTO-Abkommen soll zum 1. Januar 1995 in Kraft treten, dies ist aber abhängig von der Zahl der Ratifizierungen durch die nationalen Parlamente. Es gibt – im Gegensatz zu den meisten anderen internationalen Abkommen – dafür keine Mindestzahl. Ein Arbeitsbeginn im Januar würde aber nach Ansicht der meisten Mitglieder nur Sinn machen, wenn die Handelsriesen USA, Japan und EU in diesem Jahr ratifizieren.

Nach Abschluß der viertägigen Konferenz in Marokko sollte gestern nachmittag das Abkommen feierlich unterzeichnet werden. „Die Bildung der WTO stellt eine neue Ära in der weltweiten Wirtschaftskooperation dar, die dem allgemeinen Wunsch entspricht, in einem offeneren und gerechteren multilateralen Handelssystem zu agieren, zum Nutzen und Wohlstand der Menschen in den Mitgliedsstaaten“, heißt es in der Erklärung von Marrakesch. Aber die Erleichterung über den Abschluß der Uruguay- Runde konnte nicht über die Spannungen im internationalen Handel im Zuge der Rezession hinwegtäuschen.

Die zunehmenden protektionistischen Tendenzen und die Bildung von regionalen Handelsblöcken wurden besorgt registriert. Enttäuscht zeigten sich vor allem die Entwicklungsländer, die sich von dem Abkommen mehr versprochen hatten. Sie befürchten, daß die Industrienationen unter Hinweis auf soziale Rechte und Umweltschutzaspekte den Handel der Länder behindern werden, die ihre Wirtschaft auf den Export ausgerichtet haben.

Spannungen gab es deutlich auch zwischen den Indusrieländern. So hatten sich die USA und die EU auf ein Abkommen über die Vergabe öffentlicher Aufträge auch an ausländische Firmen geeinigt (siehe Kasten). Dafür mußte auch ein interner Krach in der EU beigelegt werden. Deutschland und Frankreich hatten sich um Einfuhrbeschränkungen für lateinamerikanische Bananen gestritten. „Wir können jetzt die gesamte Uruguay-Runde einschließlich des Bereichs der öffentlichen Aufträge unterzeichnen“, sagte EU-Außenhandelskommissar Leon Brittan.

Paris hatte ursprünglich von Bonn einen Rückzug der deutschen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof verlangt, mit der die Bundesregierung die neue Bananenmarktordnung der Europäischen Union zu Fall bringen will. Frankreich verband diese Forderung mit der Drohung, andernfalls die Unterzeichung des zwischen der EU und den USA ausgehandelten Abkommens über den Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen platzen zu lassen.